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Kommunen wollen mit Müll wieder Geld scheffeln

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Deutsche Gemeinden holen sich das lukrative Geschäft mit der Müll-Entsorgung von den Privaten zurück. Und die Rückverstaatlichung ist beleibe kein Einzelphänomen. Betroffen sind auch die Sektoren Energie- und Wasserversorgung.

Deutschlands Kommunen haben das Müllgeschäft wiederentdeckt. Waren in den vergangenen Jahren vornehmlich private Entsorgungsunternehmen mit der Müllabfuhr befasst, übernehmen Städte und Gemeinden das gewinnträchtige Geschäft vielfach wieder selbst. Laut der Mannheimer Beratungsgesellschaft TIM Consult haben mittlerweile rund 100 Städte und Gemeinden ihre Müllabfuhr wieder eingegliedert.

Eine Entwicklung, die der Bundesverband der Deutschen Entsorgungswirtschaft (BDE) mit Sorge sieht: „Diese Verstaatlichung ist ein Rückschlag für die Marktwirtschaft“, wettert Hauptgeschäftsführer Stephan Harmening im Gespräch mit WELT ONLINE: „Wenn man denkt, der Staat könne alles besser, dann sind wir wieder in der DDR.“

Harmening fordert die Beibehaltung des Wettbewerbs im rund 13 Mrd. Euro großen Markt. Für eine flächendeckende Rekommunalisierung gebe es keine rationalen Gründe, so der Funktionär. Deutschlands Entsorgungsindustrie sei weltweit Marktführer. Und das liege sicher nicht an den innovations- und investitionsscheuen Kommunen. Die Privaten hätten sich auf das Recycling-Geschäft spezialisiert. Dementsprechend sei deren Wertschöpfung ebenso wie der Stand der Technik deutlich höher.

Das sieht der Verband kommunale Abfallwirtschaft und Stadtreinigung (VKS) anders. „Es stimmt nicht, dass es die Privaten besser und billiger können“, sagt der stellvertretende VKS-Geschäftsführer Achim Schröter. Die kommunalen Entsorger böten zu vergleichbaren Preisen sogar deutlich mehr Service als die Privaten, sei es die gebührenfreie Abfuhr von Sperrmüll oder eine individuell zugeschnittene Leerungsfrequenz. Mittlerweile würden sich die Fälle häufen, in denen Bürger und Kommunen mit den Leistungen der privaten Entsorger nicht mehr zufrieden sind, weil beispielsweise Müll liegen bleibt. „Die Kommunen machen ihre Arbeit sorgsamer, da sie nicht den kurzfristigen materiellen Gewinninteressen unterworfen sind“, so Schröter weiter. Und bleibe ein Überschuss, werde der zum Beispiel in Form einer Gebührensenkung an die Bürger weitergegeben.

Das aber zweifelt BDE-Geschäftsführer Harmening an. „Im Zuge der bisherigen Verstaatlichungen hat es keine flächendeckende Absenkung der Müllgebühren gegeben“, sagt der Verbands-vorsteher. Vielmehr würden mit den Einnahmen defizitäre Bereiche wie etwa der Nahverkehr quersubventioniert. Das sei Gebührenmissbrauch und verhindere reale Marktpreise. Und so wird die aufkommende Rekommunalisierung nun vom Bundeskartellamt kritisch beobachtet. Zumal Behörden-Präsident Ulf Böge auf Privatisierungserfolge im Entsorgungsbereich verweist.

Die Kommunen sind von Rechts wegen dazu verpflichtet, die Müllentsorgung zu organisieren, handelt es sich doch um eine hoheitliche Aufgabe zur Daseinsvorsorge. Ausgenommen ist lediglich die Gelbe Tonne für die Verpackungen mit dem Grünen Punkt. Ihre Entsorgung wird von den Dualen Systemen organisiert. Für die Müllentsorgung können die Kommunen von den Bürgern Gebühren verlangen. Diese Abgabe schwankt von Bundesland zu Bundesland. Laut dem Bundesverband der Verbraucherzentralen (vzbv) liegt die durchschnittliche jährliche Müllgebühr zwischen 280 und 134 Euro je Vier-Personen-Haushalt.

In den einzelnen Ländern sind die Unterschiede noch gravierender: Laut vzbv differieren die Gebühren von Kommune zu Kommune um bis zu 500 Prozent. In Nordrhein-Westfalen beispielsweise liege die Spannbreite der Müllabgabe für die 14-tägige Leerung einer 240-Liter-Tonne zwischen 150 und 900 Euro. Den kommunalen Entsorgern ist der Vergleich zu plakativ. „Faire Gebührenvergleiche sind eigentlich nicht möglich, da die Leistungen oftmals komplett unterschiedlich sind“, wehrt sich Holger Jönsson, Leiter des Controllings bei der Hamburger Stadtreinigung.

Heute werden nach Schätzung des BDE zwei Drittel des Hausmülltransports von privaten Entsorgern erledigt. Dabei gilt: In den großen Städten ist die Entsorgung überwiegend in kommunaler Hand, in den ländlichen Gegenden ist sie meist privatwirtschaftlich organisiert. Allerdings dürften kommunale Entsorger wegen des Ortsprinzips in der Gemeindeverordnung nicht andere Gemeinden mit betreuen. „Deshalb wird es auch nie zu einer vollständigen Rekommunalisierung kommen“, so Schröter, dem zufolge der BDE eine „unseriöse Kampagne gegen die kommunalen Entsorger veranstaltet, um von eigenen Problemen abzulenken“.

Vor elf Jahren hatte eine Änderung des Kreislauf- und Abfallgesetzes die Beauftragung privater Müllabfuhrbetriebe ermöglicht. Eine vollständige Privatisierung ist wegen der Daseinsvorsorge-Pflicht nicht möglich. Nun laufen viele der damals abgeschlossenen Verträge aus und werden nicht verlängert. Wie zum Beispiel im westfälischen Unna, in Hannover, im Rhein-Sieg-Kreis, in der Region Rhein-Hunsrück oder in den Landkreisen Mettmann, Uckermark und Lüneburg. Laut der Mannheimer Beratungsgesellschaft TIM Consult haben mittlerweile rund 100 Städte und Gemeinden ihre Müllabfuhr wieder eingegliedert. „Es ist normal, dass zum Ende der Vertragslaufzeit die Kosten geprüft werden“, sagt VKS-Geschäftsführer Schröter. Und wenn man es selbst günstiger machen kann, werde der Vertrag eben nicht verlängert.

In Lüneburg übernimmt die Gesellschaft für Abfallwirtschaft (GfA) nach 14 Jahren privatwirtschaftlich organisierter Müllabfuhr wieder das Sammeln. Das GfA-Angebot sei 20 Prozent billiger, begründet die zuständige Behörde. Bei den bisherigen Kosten in Höhe von 2,4 Mio. Euro ist das immerhin fast eine halbe Million. Zwar ist dieses Angebot nach Aussage von GfA-Geschäftsführer Hubert Ringe knapp kalkuliert. „Aber wir können Synergieeffekte nutzen“, sagt er. Die GfA betreibt unter anderem Abfallbehandlungsanlagen. Aber nicht immer ist der kommunale Entsorger bereits vorhanden. Zunehmend gehen Lokalpolitiker dazu über, neue Betriebe zu gründen. Andere übertragen die Müllabfuhr an Zweckverbände. Im Aachener Umland zum Beispiel haben sich sechs Kommunen in der „Regio Entsorgung“ zusammengetan. Interkommunale Zusammenarbeit heißt das im Behördendeutsch.

Die Gebietskörperschaften wittern bei der Müllentsorgung das große Geschäft. Branchenkennern zufolge fallen beim Sammeln und Sortieren Gewinnmargen von acht bis zwölf Prozent an. Und auch im Bereich der Industrieabfälle geht es um viel Geld. Denn der Abholer kann den Inhalt der Tonnen verkaufen. Und für diese so genannten Sekundärrohstoffe gibt es mittlerweile einen lukrativen Markt. „Wenn eine Stadt die Möglichkeit hat, Geld zu verdienen, sollte sie diese Gelegenheit wahrnehmen“, heißt es beim Deutschen Städte- und Gemeindebund.

Die Luft für die Privaten in der Abfallwirtschaft wird also dünner. Zumal die kommunalen Betriebe von der Umsatzsteuer befreit sind. Und die liegt derzeit bei immerhin 19 Prozent. „Eine klare Wettbewerbsverzerrung“, beschwert sich BDE-Hauptgeschäftsführer Stephan Harmening. Der BDE hat deshalb bei der EU Beschwerde gegen die steuerliche Ungleichbehandlung eingereicht.

Rekommunalisierung

Die Rückverstaatlichung in der deutschen Abfallwirtschaft ist kein Einzelphänomen. Betroffen sind weitaus mehr Sektoren der Wirtschaft, wie zum Beispiel die Energie- und die Wasserversorgung oder die Straßenreinigung und die Grünflächenpflege. Die Städte Dortmund und Bochum etwa haben mit Gelsenwasser den einst größten Privatkonzern der hiesigen Wasserwirtschaft zurückgekauft. Der Preis: rund 835 Mio. Euro. Und auch in Berlin gibt es Planspiele um die 1999 teilprivatisierten Wasserbetriebe der Hauptstadt. Zumindest steht im neuen rot-roten Koalitionsvertrag, dass sich der Senat für die Rekommunalisierung der hochprofitablen Berliner Wasserwerke (BWB) einsetzt. Der Haken: Der Vertrag mit RWE und Veolia läuft noch bis zum Jahr 2028. Und einen Rückzug schließen die beiden Konzerne derzeit kategorisch aus.

Mehrwertsteuer-Privileg beschäftigt Brüssel

Der Wettbewerb zwischen der privaten und der kommunalen Abfallwirtschaft in Deutschland dürfte in Kürze auch die Europäische Union beschäftigen. Der Bundesverband der Deutschen Entsorgungswirtschaft (BDE) will in Brüssel zeitnah Beschwerde gegen das Mehrwertsteuerprivileg der kommunalen Konkurrenz einreichen. Der Hintergrund: Da die Müllabfuhr hierzulande gesetzlich unter die hoheitlich zu regelnde Daseinsvorsorge fällt, sind öffentlich-rechtliche Betriebe von der Mehrwertsteuerpflicht ausgenommen.

Erst vor wenigen Wochen hatten der BDE zusammen mit Privatunternehmen Beschwerde gegen die Ungleichbehandlung in der Abwasserentsorgung eingereicht, wo die Strukturen ähnlich sind. Und die Signale aus Brüssel sind für den Verband positiv: „Rekommunalisierung ist keine Alternative zur Einbindung der Privatwirtschaft“, heißt es beispielsweise in einer Stellungnahme des EU-Parlaments.

Aber möglicherweise muss Brüssel gar nicht eingreifen. Denn auch die deutsche Politik beschäftigt sich mittlerweile mit dem Fall. So fordert Hartmut Schauerte, parlamentarischer Staatssekretär im Bundeswirtschaftsministerium, die Ausweitung der Umsatzsteuerpflicht. „Auch deshalb, weil ansonsten das Steueraufkommen ungerechtfertigt verkürzt würde.“

Quelle: www.welt.de

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