Grundstücksveräußerungen der öffentlichen Hand, die mit einer Bauverpflichtung des Erwerbers verknüpft sind, unterliegen dem Vergaberecht und müssen in einem europaweiten Ausschreibungsverfahren vergeben werden. Das hat das Oberlandesgericht (OLG) Düsseldorf in einem Beschluss kürzlich bestätigt (Az.: VII-Verg 37/07). Bereits im vergangenen Jahr hatten zahlreiche Städte und Gemeinden unter dem Eindruck dieser neuen Entwicklung in der Rechtsprechung ihre laufenden Investorenauswahlverfahren und Immobilienprojektentwicklungen einstweilen gestoppt.
Bis zum Jahr 2006 waren deutsche Gerichte noch davon ausgegangen, dass Grundstücksverkäufe der öffentlichen Hand grundsätzlich nicht ausschreibungspflichtig sind. Denn solche Geschäfte dienten nicht dazu, einen konkreten öffentlichen Beschaffungsbedarf zu decken, wenn die zu errichtenden Bauwerke später nicht öffentlich genutzt werden sollten. Vielmehr werde ja gerade nichts eingekauft, sondern öffentliches Eigentum weggegeben. Auf solche Fälle sei Vergaberecht nicht anzuwenden.
Urteil des EuGH
Diese Auffassung ließ sich spätestens seit der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) vom Januar 2007 im Fall der französischen Stadt Roanne nicht mehr halten. Die europäischen Richter befanden dort, dass es für die Einstufung als ausschreibungspflichtiger Bauauftrag nicht darauf ankomme, ob das zu errichtende Bauwerk von der Kommune selbst genutzt werden solle oder nicht. Entscheidend sei allein, ob es nach den Vorgaben des öffentlichen Auftraggebers errichtet werde.
Das OLG Düsseldorf hat diese Rechtsprechung des EuGH erstmals in einem Beschluss vom Juni 2007 ("Flughafen Ahlhorn") auf einen in Deutschland angesiedelten Fall angewandt. Dabei hatte es über eine häufig anzutreffende Dreieckskonstellation zu entscheiden, bei der Kommunen mit den Verkäufern eines Grundstücks - etwa dem Bund - bei der Suche nach einem geeigneten Investor zusammenwirken. Der Investor erwirbt das Grundstück vom Eigentümer und schließt zugleich mit der Kommune einen städtebaulichen Vertrag ab, in dem er sich zur Errichtung einer konkreten Bebauung verpflichtet. Solche Geschäfte sind nach dem OLG Düsseldorf vergaberechtlich als Einheit anzusehen und wegen der konkreten Bauverpflichtung insgesamt ausschreibungspflichtig.
Erhebliche Unsicherheit
Die Ahlhorn-Entscheidung hat bei Städten und Gemeinden zu erheblicher Unsicherheit geführt. Trotz vielfältiger Kritik von kommunalen Spitzenverbänden und vereinzelt geäußerter Bedenken in der juristischen Literatur hat das OLG Düsseldorf seine Rechtsprechung in den Beschlüssen vom Dezember 2007 und nunmehr vom 6. Februar 2008 jedoch klar bestätigt.
Im Streitfall hatte die nordrhein-westfälische Stadt Oer-Erkenschwick im Jahre 2005 beschlossen, auf einem innerstädtischen Gelände ein Einzelhandelszentrum errichten zu lassen. Hierzu wurde in der Tagespresse ein "Grundstücksangebot" veröffentlicht, an dem Unternehmen ihr Interesse bekunden sollten. Ende 2005 wurden Verhandlungen mit einem ausgewählten Unternehmen aufgenommen, die im März 2007 zum Abschluss eines Kaufvertrages führten.
Zur Steigerung der „innerstädtischen Aktivität“
Der Vertrag selbst erhielt keine ausdrückliche Verpflichtung zur Errichtung des Einkaufszentrums. Nach der Präambel waren als Vertragsziel die "Beseitigung eines städtebaulichen Missstandes" sowie die "Steigerung der innerstädtischen Aktivität" vereinbart. Darüber hinaus verwies die Präambel auf ein städtebauliches Gutachten mit konkreten Empfehlungen hinsichtlich der Errichtung des Einzelhandelszentrums, das der Käufer zu beachten habe. Schließlich enthielt der Vertrag einzelne Verpflichtungen des Käufers zur Einbindung des Vorhabens in die nähere Umgebung, wie etwa zum Bau von Rad- und Fußwegen.
Das OLG Düsseldorf erklärte den Kaufvertrag insgesamt für unwirksam. Bei dem fraglichen Vorhaben handele es sich aus vergaberechtlicher Sicht um eine Baukonzession, für das die Stadt ein europaweites Ausschreibungsverfahren hätte durchführen müssen. Die Auslegung des Vertrages, einschließlich seiner Präambel, sowie aller weiteren Umstände ergebe, dass Stadt und Investor tatsächlich eine Verpflichtung zur Bebauung des Geländes mit dem Einzelhandelszentrum gewollt hätten. Die ausdrückliche Vereinbarung einer solchen Pflicht im Vertrag sei hierfür nicht erforderlich.
Neue rechtliche Fragen
Dieser Beschluss des OLG Düsseldorf wirft neue rechtliche Fragen auf, die sicher noch kontrovers diskutiert werden müssen. Die Grundsatzentscheidung - Ausschreibungspflicht von Grundstücksgeschäften der öffentlichen Hand mit Bauverpflichtung - hat sich jedoch weiter verfestigt. Es ist derzeit nicht abzusehen, dass in nächster Zeit andere Oberlandesgerichte zu anderen Entscheidungen kommen könnten, die dann zu einer Vorlage an den Bundesgerichtshof führen müssten. Daher wird für die öffentliche Hand kein Weg mehr daran vorbeiführen, bei Immobilienprojektentwicklungen auch auf vergaberechtliche Aspekte zu achten.
Ist eine Pflicht zur Realisierung einer konkreten Bebauung gewollt oder ergibt sich diese - wie bei Durchführungsverträgen zu vorhabenbezogenen Bebauungsplänen - aus dem Gesetz, ist der Investor als Baukonzessionär regelmäßig in einem europaweiten Ausschreibungsverfahren auszuwählen. Bereits laufende Investorenauswahlverfahren sind unter Umständen aufzuheben und neu auszuschreiben. Im Rahmen der Neuausschreibung haben die Kommunen darauf zu achten, dass Ideen und Vorschläge ihres bisherigen Verhandlungspartners nur eingeschränkt und nach vorheriger Vereinbarung verwendet werden dürfen.
Unwirksame Verträge
Ausschreibungspflichtige Verträge der öffentlichen Hand, die ohne ordentliches Ausschreibungsverfahren vergeben wurden, sind unwirksam. Nicht berücksichtigte Wettbewerber können diese Unwirksamkeit vor einer Vergabekammer geltend machen. Bei Altverträgen, die schon länger als sechs Monate in Kraft sind, kann ein solcher Antrag jedoch wegen Verwirkung unzulässig sein. Es ist daher eher unwahrscheinlich, dass bereits begonnene und weit fortgeschrittene Investorenprojekte auf der Grundlage dieser neuen Rechtsprechung nachträglich gekippt werden können.
Ein Ende des kooperativen Städtebaus ist durch diese neue Entwicklung der Rechtsprechung und die fortschreitende Verrechtlichung dieses Bereichs nicht zu befürchten - solange Kommunen die rechtlichen Anforderungen an die Vergabe von Baukonzessionen beachten. Hierzu haben die Kommunen - mehr als bisher - vor Beginn des Verfahrens ihre eigenen Bedürfnisse und Interessen zu definieren.
Quelle: faz.net
Der Autor ist Rechtsanwalt der Kanzlei Nörr Stiefenhofer Lutz, Berlin.