Freilich stehen haltbare Ergebnisse derzeit noch aus. Dennoch zeigt sich das Team um den Leiter der Technischen Betriebsdienste Reutlingen (TBR), Stefan Kaufmann, durchaus beeindruckt von der neuen Maschine. „Prinzipiell sind wir sehr zufrieden mit dem Fahrzeug“, sagt Thomas Pferner, Sachgebietsleiter Abfallwirtschaft. Deutlich ruhiger bewege sich das Gefährt durch die Siedlungen, was insbesondere in den frühen Morgenstunden den Bürgern zugutekomme. „Wir haben keinen Diesellärm, weniger Vibrationen und unsere Mitarbeiter atmen keine Abgase ein.“ Derzeit werde „sehr viel rein elektrisch“ gearbeitet, ergänzt Matthias Kuster, stellvertretender Betriebsleiter. Will heißen: Über Nacht laden die Schwaben das Batteriepaket des Müllsammlers und fahren „so viel wie möglich elektrisch“. Immerhin kosteten momentan 100 km Reichweite aus der Brennstoffzelle das Dreifache gegenüber einem Dieselaggregat.
Allein, der Start in die umweltfreundliche H2-Mobilität verläuft in Reutlingen etwas holprig: Bereits nach wenigen Tagen wird das Mitte März gelieferte Fahrzeug vom Hersteller zurückgeholt. „Probleme bei der Betankung sowie mit der Software des Wandleraggregates“, führt TBR-Chef Kaufmann an – inklusive Hinweis, genauere Details nicht zu kennen. Zoeller-Systems-Geschäftsführer, Markus Dautermann, bringt in diesem Zusammenhang etwas mehr Licht ins Dunkel, ohne ins Detail gehen zu wollen: „Der wesentliche Grund der Verzögerung waren Corona-bedingte Lieferengpässe bei verschieden Komponenten und Bauteilen, welche uns bis heute weiterhin begleiten. Zusätzliche Herausforderungen entwickelten sich bei der Inbetriebnahme des kompletten Systems.“
Gefordert: 100 Prozent Leistung bei null Emission
Wie auch immer: 14 Müllsammelfahrzeuge sind täglich in der Kernstadt sowie den zwölf Bezirksgemeinden unterwegs, um Bioabfall, Altpapier, Restmüll und Sperrmüll einzusammeln. Auf den Touren gilt es, vom Neckar bis zur Schwäbischen Alb bis zu 500 Höhenmeter zu überwinden. Für die Reutlinger stand deshalb fest: Ein Lkw mit alternativem Antrieb muss dieselben Leistungswerte erreichen, wie jener mit Dieselmotor. Außerdem sollten ca. zehn Tonnen Zuladung möglich sein, die Technik bei Presswerk und Lifter zuverlässig arbeiten sowie genügend Energie an Bord zur Verfügung stehen, um eine Sammeltour vollständig ohne Zwischentankung oder -entladung leisten zu können. Kurz gesagt: 100 Prozent Leistung bei null Emission.
Beim Reutlinger Fahrzeug sind die Funktionskomponenten von Aufbau, Presswerk und Lifter gegenüber dem herkömmlichen unverändert. Der wesentliche Unterschied liegt darin, dass die notwendige Energie nicht mehr aus einem Verbrennungsmotor, sondern aus drei Elektromotoren mit insgesamt 285 kW Leistung kommt, die aus einem Batteriepaket gespeist werden. Dieses musste allerdings vom spezifischen Eigengewicht her so klein dimensioniert sein, dass immer noch Sammelmengen von je zehn Tonnen erreicht werden können. Die gespeicherte Energie aus der innerhalb von 4,5 Stunden über Nacht vorgeladenen Batterie reicht jedoch nicht aus, um die gesamte Tour zu fahren. Deshalb erzeugt die Brennstoffzelle aus dem Wasserstoff während der Fahrt Strom, der in die Batterie gespeist wird. Zusätzlich wird über Rekuperation Energie bei Bremsvorgängen zurückgewonnen. Pro durchschnittlicher Abfallsammeltour – circa zweimal zehn Tonnen Müll pro Tag – benötigen die Großstädter rund 160 kWh Energie, davon etwa 60 kWh aus der vorgeladenen Batterie, 35 kWh aus der Rekuperation sowie weitere 65 kWh aus der Brennstoffzelle. Für etwa drei bis vier Sammeltage reicht der Wasserstoffvorrat in den vier Tanks.
Mit rund 875.000 Euro schlägt der H2-Müllsammler zu Buche. Über das Sofortprogramm „Saubere Luft“ erhält die Kreisstadt rund 550.000 Euro an Fördermitteln vom Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur. Bei 90 Prozent – bezogen auf den Mehrinvestitionsaufwand gegenüber einem herkömmlichen Fahrzeug – liegt die Förderquote. Einen jährlichen Mehrbetrag in Höhe von 8.500 Euro – trotz höherer Abschreibung – ist der Öko-Müllwagen der früheren Reichsstadt auf den ersten Blick wert. Dies werde jedoch bei genauerer Betrachtung durch die deutlich niedrigeren Betriebskosten für Energie – Wasserstoff und Strom anstelle von Diesel – mehr als ausgeglichen, ist sich TBR-Chef Kaufmann sicher. Doch auf Vermutungen gibt der Diplom-Ingenieur nichts, er will zusammen mit Hersteller Zoeller verlässliche Daten erheben, um eindeutig die „gleichwertige Leistungsfähigkeit zu belegen, die Umweltsituation zu bewerten und um eine belastbare Lebenskostenanalyse vorzulegen“. Erste Ergebnisse sollen bereits Mitte nächsten Jahres präsentiert werden.