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PRÄZISION DURCH DIGITALISIERUNG NRW-Forschungsprojekt „NachWinD“ zur nachhaltigen Winterdienst-Organisation

In Nordrhein-Westfalen haben das Fraunhofer-Institut mit Sitz in Lemgo, der INFA-ISFM e.V. (FH Münster) und die Okeanos Smart Data Solutions GmbH das dreijährige Forschungsprojekt „Steigerung der Nachhaltigkeit und Präzision im Winterdienst durch Digitalisierung – NachWinD“ ins Leben gerufen. Ziel des Projekts ist es, ein intelligentes IoT-System („Internet of Things“ – digitale Vernetzung von Geräten) für den Winterdienst zu entwickeln und zu testen. Es soll dabei helfen, Winterdienst-Einsätze zu reduzieren und weniger Streumittel zu nutzen, um die Umwelt zu schonen und Fahrzeug-Emissionen zu reduzieren. Ins Projekt flossen bereits EU- und NRW-Fördermittel, beteiligt sind außerdem der Kreis Lippe, der ASP Paderborn und der Deutsche Wetterdienst.

Lesedauer: min | Bildquelle: pexels, Sergei Starostin; pixabay, Jan-Mallander; Fraunhofer IOSB-INA
Von: David Herwede

Laut Umweltbundesamt ist der Einsatz von Streusalz für Bäume und andere Pflanzen, Tiere, Gewässer, Fahrzeuge und Bauwerke (insbesondere Beton) „sehr schädlich“, und die Beseitigung der Schäden verursache jährlich „hohe Kosten“. Es wird daher empfohlen, auf umweltschonende Streumittel zurückzugreifen, die im Handel mit dem Blauen Engel gekennzeichnet sind, dem Umweltzeichen des Bundesumweltministeriums für besonders nachhaltige Produkte. Aber ist es auch möglich, die Menge an Streumitteln, die jährlich für den Winterdienst eingesetzt wird, umfassend zu reduzieren und so auch CO2-Emissionen einzusparen, indem weniger Einsätze gefahren werden?

Eben dieser Frage hat sich die Forschungsgruppe aus Nordrhein-Westfalen gewidmet. Mit dem Forschungsprojekt „NachWinD“ sollen Winterdienst-Techniken wie IoT, Sensorik, Software, Fahrzeug-Komponenten, digital verfügbare Wetterdaten oder auch Expertenwissen zu einem „Gesamtsystem“ zusammengeführt werden. Durch vorausschauende KI-Modelle könnten so künftig individuelle Vorhersagen getroffen und dadurch Streumittel-Mengen sowie Winterdienst-Einsätze reduziert werden. Um den Erfolg der Ergebnisse bewerten zu können, werden wohl im Kreis Lippe und im Stadtgebiet von Paderborn im Winter 2025/2026 „Pilotbereiche“ für Versuchsstrecken entstehen.

Umfangreiche Datensammlung – auch durch Umfrage

Im Rahmen des Forschungsprojekts läuft aktuell eine bundesweite Umfrage unter Städten, Gemeinden und Landkreisen zur Erfassung des individuellen Vorgehens im maschinellen Winterdienst. Über den zehnseitigen Fragebogen können Verantwortliche ihre Erfahrungen in Bezug auf Wetter-Informationen, Präventiv-Streuungen, Routen-Planungen oder Streu-Techniken teilen. Zusätzlich soll mit „NachWinD“ eine Vielzahl verschiedener Informationen zu Wetter- und Klima, Straßenbelag oder stadtspezifischen Besonderheiten in einer Datenbank gesammelt werden. Auf Grundlage dieser Sammlung sollen künftige KI-Systeme die Streu-Einsätze vorausschauend planen, um Ressourcen zu schonen und Emissionen einzusparen.


Laut Tobias Wilms, Projektingenieur beim INFA-ISFM e.V., sei es für erste Ergebnisse noch zu früh: „Die Umfrage läuft bis Ende November und steht auch bzgl. der medialen Begleitung erst am Anfang. Ziel ist es, aus der Praxis die Informationen zu erhalten, um ein zukünftiges IoT-System bedarfsgerecht auf den Winterdienst der öffentlichen Hand auszurichten. Neben der quantitativen Erhebung in Form einer bundesweiten Umfrage werden auch Experteninterviews zu den Themen – wie bspw. dem operativen Winterdienst und dem Sensoreinsatz – geführt. Diese ergänzen die Erkenntnisse, die wir uns aus der Umfrage erhoffen.“

Rechtliche Probleme gebe es trotz der großen Daten-Mengen nicht: „Der rechtliche Datenschutz bleibt in seinen Vorgaben unberührt und gilt natürlich auch für unsere Forschungen. Der Zugriff auf am Fahrzeug verbaute Sensoren und die Erfassung und Aufzeichnung von GPS-Bewegungsdaten von Winterdienstfahrzeugen sind allerdings nicht neu und in der Praxis auch hinsichtlich des datenschutzrechtlichen Umgangs erprobt. Daher kann hier auf bestehende Regelungen zurückgegriffen werden, die in ihrem Umfang die Problemstellung ausreichend regeln.“ Gespeicherte Daten würden dabei ausschließlich für das Projekt verwendet werden und nur den Projekt-Beteiligten zugänglich sein.

IoT-System: Produkt aus „mehreren Elementen“

Kornelia Schuba, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Fraunhofer-Institut Lemgo, erklärt das geplante Internet der Dinge genauer: „Das IoT-System wird aus mehreren Elementen bestehen. Ein ,Urbanes Schnee- und Eis-Modell‘ wird den Räum- und Streu-Bedarf zeitaufgelöst ermitteln und dafür auch Daten von Sensoren, die an der Fahrbahn in Pilotbereichen installiert werden, nutzen. Eine ,KI-basierte Entscheidungs-Unterstützung‘ wird eine Empfehlung für die Notwendigkeit von Räum- und Streu-Einsätzen, möglicher Routen-Optimierung oder Salzmengen geben. Die notwendige Datengrundlage wird anhand der beschriebenen Sensorik, Vorhersage-Daten, des Schnee- und Eis-Modells, der rechtlichen Grundlagen, aber auch des Expertenwissens der Mitarbeitenden und der Erfahrungen aus vergangenen Wintern geschaffen.“

Schuba weiter: „In einem Element ,Wissens-Datenbank‘ wird dafür das Expertenwissen der Mitarbeitenden gespeichert und zur Weiterverarbeitung aufbereitet. Hier ist auch eine Schnittstelle zu weiteren Stakeholdern, die in Verbindung mit dem Winterdienst stehen, geplant. In einem Telematik-Element werden Informationen für ein Winterdienst-Fahrzeug wie z.B. Streumenge, -winkel und -breite oder Wegeführung zusammengeführt. Die Daten und Empfehlungen für die Einsatzleitung im Winterdienst werden in einer Anwendung visuell aufbereitet und zur Verfügung gestellt.“

Die Forschungs-Gruppe vermutet, dass eine zunehmende Digitalisierung des Winterdienstes dabei helfen wird, die erforderlichen Leistungen unter Wirtschafts-, Klima- und Umwelt-Aspekten zu optimieren: „Dies ist als flankierende Maßnahme zur technischen Entwicklung beim Fahrzeug- und Streu-Automaten-Einsatz zu sehen. Belastbare lokale Glätte-Vorhersagen könnten dazu führen, dass weniger präventive Streuungen durchgeführt werden müssen, ohne sich als Baulast-Träger rechtlich angreifbar zu machen oder einen Qualitätsverlust zu begründen. Bei kurativen Streuungen kann eine Digitalisierung des Winterdienstes durch die sensorgestützte Erfassung von Glätte-Parametern dazu genutzt werden, im Zusammenspiel mit Geodaten und definierten Streu-Bildern die Ausbringung von Salzmengen auf das erforderliche Minimum zu reduzieren“, so Schuba.

Digitalisierung zieht Fachkräfte-Mangel mit sich

Laut Horst Hanke, Vorsitzender des Fachausschusses (FA) Winterdienst beim Verband Kommunaler Unternehmen e.V., ist die Digitalisierung im Winterdienst bereits heute „grundsätzlich auf einem hohen Stand“. Moderne Wetter-Beobachtungs-Systeme und situationsbedingte Straßen-Wetter-Vorhersagen seien ebenso verfügbar wie Fahrzeug-interne Systeme zur automatisierten Streustoff-Dosierung. „Allerdings werden solche Systeme in sehr unterschiedlichem Umfang und Maß in den Verwaltungen und Kommunen eingesetzt. Häufig ist es eine Frage der Finanzierung und der Bereitschaft, moderne Systeme im Winterdienst einzusetzen.“

Hanke vertritt die Meinung, dass die Ausbildung von Fachkräften zur präzisen Diagnose und Umsetzung der Wetter-Prognosen essenziell sei. „Dies setzt Wissen über die Zusammenhänge zwischen Wetter-Entwicklung und Glätte-Bildung sowie entsprechende Erfahrung voraus, an der es teilweise mangelt. Wichtig sind also spezifische Schulungen. Auch für die Routen-Planung und -Optimierung gibt es bereits seit vielen Jahren Verfahren und Systeme, durch die der Winterdienst wesentlich optimiert, d.h. beschleunigt und wirtschaftlich werden kann.“

Auf die Frage nach der Erreichbarkeit des Ziels, die Menge an Streumitteln und die Anzahl an Einsätzen zukünftig zu reduzieren, entgegnet der FA-Vorsitzende: „Ich glaube nicht, dass nur durch eine Digitalisierung die Anzahl der Einsätze und der Streumittel reduziert werden kann. Dies ist allerdings möglich durch eine gute Schulung, die Optimierung der Einsatz-Strategien und der Streu-Techniken, d.h. verstärkter Einsatz von FS100 (Flüssigsalz) zur vorbeugenden Glätte-Bekämpfung. Hierfür sind allerdings entsprechende Investitionen in moderne Technik – einschließlich guter Vorhersage-Systeme – und Schulungen erforderlich, die leider vielerorts nicht oder nur zögerlich erfolgen.“

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