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HVO-DIESEL „Scheinlösung“ oder echte Alternative?

Stellt HVO-Diesel eine langfristige Alternative zu fossilem Diesel dar? In einem Faktencheck, der im März vergangenen Jahres veröffentlicht wurde, rechnen sechs bekannte Umweltorganisationen mit dem Treibstoff ab. Das Bundesministerium für Digitales und Verkehr (BMDV) dagegen sieht im Bio-Diesel weiterhin eine Möglichkeit, CO2-Emissionen dauerhaft zu reduzieren. Derweil zieht die Europäische Kommission in Erwägung, HVO-Zertifikate wegen zahlreicher Betrugsfälle nicht mehr anzuerkennen.

Lesedauer: min | Bildquelle: Engin Akyurt (Pixabay), ADAC e.V., Karin Arnold, BMDV
Von: David Herwede

Nach wie vor ist der Klimawandel ein Thema, und bekanntermaßen verursacht der Verkehrssektor mitunter die meisten Treibhausgas-Emissionen. Um dem entgegenzuwirken, arbeiten Experten an umweltfreundlichen Alternativen zu bereits vorhandenen, fossilen Kraftstoffen. Eine Lösung stellt dabei paraffinischer Diesel dar (engl. Hydrotreated Vegetable Oil, HVO). Laut Shell wird HVO-Diesel aus hydrierten Ölen und Fetten hergestellt und ist sowohl in Reinform (HVO 100) als auch in einem beliebigen Mischverhältnis mit fossilem Diesel erhältlich. Offiziell verfügbar ist der Treibstoff seit vorigem Jahr, wobei es im Ermessen des jeweiligen Tankstellen-Betreibers liegt, den Bio-Diesel anzubieten. Der ADAC schätzt, dass HVO durch seine Herstellungskosten wohl um zehn bis 20 Cent teurer sein wird als fossiler Diesel.

Ein wichtiger Vorteil: HVO gilt als „Drop-In-Kraftstoff“, d.h. er kann gänzlich ohne Umrüstung am Fahrzeug getankt werden. Fahrer sollten sich lediglich beim Hersteller erkundigen, ob das entsprechende Modell auch kompatibel ist. Shell gibt an, dass der Treibstoff CO2-Emissionen um bis zu 90 Prozent reduziert. Außerdem stehe er auch ansonsten fossilen Antrieben in nichts nach – neben einer höheren Cetanzahl, die sich unter anderem positiv auf die Motorleistung und das Emissionsverhalten auswirkt, zeichne sich HVO auch durch ein besseres Kälteverhalten aus, wodurch sich der Motor einfacher starten lässt. Experten des Energieunternehmens weisen aber auch darauf hin, dass für eine positive Nachhaltigkeits-Bilanz von HVO die verwendeten Rohstoffe aus kontrolliertem Anbau stammen müssen. Außerdem dürfe der Anbau von Pflanzen für die Produktion nicht zu Änderungen führen, die die Nahrungsmittel-Produktion oder die Biodiversität beeinträchtigten.

In einem Testbericht vom August 2024 gibt der ADAC an, dass HVO-Diesel grundsätzlich problemlos funktioniere – und bei älteren Fahrzeug-Modellen gingen die Schadstoff-Emissionen mit HVO 100 auch tendenziell zurück. Allerdings stießen aktuelle Dieselfahrzeuge durch aufwendige Abgas-Nachbehandlungen ohnehin schon wenig CO2 aus. Hier mache eher der Betriebszustand der Katalysatoren einen geringen Unterschied als der verwendete Kraftstoff. Auch im Hinblick auf Leistungs-Entfaltung und Laufkultur sei zwar bei älteren Modellen ein Unterschied zu spüren – bei neueren dagegen nicht. Beim Thema Umweltbilanz stimmen Shell und ADAC überein: Ausgangsstoffe, die für die Produktion von HVO verwendet werden, müssen aus Abfall und Reststoffen stammen. Aktuell im Raum stehende Vermutungen, dass auch umdeklariertes Palmöl in die Produktion fließe, sollten schnellstmöglich überprüft werden.


 

Bio-Kraftstoffe in der Kritik von Umweltverbänden

Damit spielt der Automobil-Club vermutlich auf einen Faktencheck an, der im März vorigen Jahres von sechs namhaften Umwelt-Organisationen veröffentlicht wurde. Lösungen für klimafreundliche Mobilität würden ausgebremst, während Scheinlösungen den Verbrennungsmotor unnötig am Leben hielten, heißt es darin. Eine Abkehr von fossilen Energieträgern sei notwendig, da auch Bio-Kraftstoffe Klima und Natur erheblich schaden würden. Soja, Raps oder Getreide, das eigens für die Produktion von Agro-Kraftstoffen angebaut wird, stehe dabei in direkter Konkurrenz zur Lebensmittel-Industrie.

Im Faktencheck werden sieben Behauptungen über HVO als falsch oder irreführend gekennzeichnet. Ein Beispiel: Die Angabe, dass es sich bei den Ressourcen um nicht anderweitig verwertbare Abfälle handelt, ist demnach falsch, denn es sei „mitnichten“ so, dass Reststoffe aus Altspeise- oder Palmöl keinen Nutzen mehr bringen könnten. Solche Rohstoffe sind in Wahrheit wertvoll, umkämpft und in manchen Fällen gar kein Abfall, so die Experten. Gemäß der Nutzungskaskade des Umweltbundesamts hätten stoffliche Verwendungen aber gegenüber einer energetischen Nutzung Priorität, um CO2 möglichst lange zu binden. Ein Ausweichen auf Alternativen aus Rest- und Abfallstoffen wäre deshalb eine ressourcenverschwendende Sackgasse.

BMDV: „Potenzial noch nicht voll ausgeschöpft“

Laut Hartmut Höppner, Staatssekretär im BMDV, wird HVO 100 bereits in industriellem Maßstab produziert. Außerdem sei der Bio-Diesel in vielen Ländern verfügbar – seit einem Jahr auch an deutschen Tankstellen. „Das Potenzial der Ausgangsstoffe ist grundsätzlich begrenzt. Es wird jedoch nicht voll ausgeschöpft. So werden beispielsweise Altspeiseöle aus Haushalten noch nicht flächendeckend in der EU gesammelt. Kraftstoffhersteller haben angekündigt, die Produktionskapazitäten in den kommenden Jahren kontinuierlich zu steigern“, so Höppner.

Dem Staatssekretär zufolge ist der Umstieg auf HVO bei modernen Dieselmotoren denkbar einfach und gerade für Flottenbetreiber attraktiv, da weder technische Umrüstungen noch der Ausbau einer neuen Infrastruktur erforderlich sind. Auf den Faktencheck der Umweltverbände angesprochen, entgegnet Höppner: „Es ist schwer vermittelbar, genau die Option, die sich am einfachsten umsetzen lässt, nicht zu nutzen. Der Staat sollte vor allem den Rahmen vorgeben, das heißt, in welcher Zeit Klimaneutralität erreicht werden muss. Entscheidungen darüber, mit welcher Technologie dieses Ziel erreicht wird, sollte er aber der Wirtschaft beziehungsweise den Betroffenen überlassen. Entscheidend ist, dass die Emissionen sinken.“

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NABU: Elektrifizierung sauberste Lösung

Neben Greenpeace, der Deutschen Umwelthilfe und dem Deutschen Naturschutzring (DNR) zählt auch der NABU (Naturschutzbund Deutschland) als Herausgeber des Faktenchecks. Nikolas von Wysiecki zufolge, stellv. Leiter Verkehrspolitik beim NABU, könnten die Rohstoffe nach wie vor klimaschonender eingesetzt werden, wenn man sie anderweitig verwendet. Außerdem sei die Produktion von HVO hochgradig betrugsanfällig: „Laut einer aktuellen Studie wurde 2023 doppelt so viel POME (Palmöl-Mühlen-Abwasser) in der EU verwendet, als auf dem globalen Markt verfügbar war. Seit langem liegt die Vermutung nahe, dass entlang der Lieferkette natives Palmöl beigemengt wird, was kaum kontrollierbar ist. Die Klimabilanzen von HVO müssen also aus verschiedenen Gründen grundsätzlich infrage gestellt werden, hier sollte man auf keinen Fall auf die Angaben der Hersteller vertrauen.“

In der EU gibt es Zertifizierungssysteme für die Zulassung von Biokraftstoffen. Eines der Hauptsysteme ist dabei die International Sustainability and Carbon Certification (ISCC), die von der in Köln ansässigen ISCC System GmbH verwaltet wird. „Erst jüngst hat die EU der ISCC angedroht, die Zertifikate nicht mehr anzuerkennen“, so von Wysiecki. Aufgrund von Bedenken hinsichtlich möglicher Betrugsfälle erwägt die Europäische Kommission wohl derzeit, die Anerkennung für 2,5 Jahre auszusetzen. In einer Pressemitteilung vom 28. März gibt das ISCC seinerseits an, dass eine solche Aussetzung den Markt für abfallbasierte Biokraftstoffe erheblich beeinträchtigen könnte. Von Wysiecki: „Unternehmen, die HVO 100 verwenden, sollten sich im Klaren darüber sein, dass die Zahlen zu CO2-Einsparungen auf einer schlechten Datengrundlage basieren und es erhebliche Zweifel im Markt zur Echtheit der Zertifikate gibt.“

Was wäre Stand heute also die nachhaltigste Alternative zu fossilen Kraftstoffen? Von Wysiecki vertritt einen klaren Standpunkt: „Die sauberste und effizienteste Antriebstechnologie ist die Elektrifizierung – die rasante Entwicklung von batteriebetriebenen Lkw in den vergangenen fünf Jahren zeigt, dass oft mehr elektrifizierbar ist als ursprünglich gedacht. Zukünftig ist ein Flüssigkraftstoff nur noch in Nischenanwendungen mit sehr hohen Leistungsbereichen oder in Notfallanwendungen vonnöten. Hier sollte eher auf strombasierte als auf biogene Kraftstoffe gesetzt werden.“

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