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Gemeinde schafft sämtliche Verkehrsschilder ab

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Als einzige deutsche Kommune geht das niedersächsische Bohmte einen ganz neuen Weg in der Verkehrspolitik: Der Ort wagt einen kompletten Kahlschlag im Schilderwald. Bürgersteige, Zebrastreifen, Ampeln und Verkehrsschilder gehören dort bald der Vergangenheit an.

Bohmte - Autos und Laster passieren ununterbrochen die Straße. Fußgänger halten sich vor den Geschäften und Wohnhäusern an der Hauptverkehrsstraße im niedersächsischen Bohmte kaum auf. "Es wird nicht flaniert, ganz einfach, weil es keinen Spaß macht", sagt Gärtner Ronald Fortmann und deutet auf die Bremer Straße vor seinem Geschäft. Das soll bald anders werden. Die Gemeinde setzt auf Rücksicht statt Regeln und lässt im Rahmen eines EU-Projekts bald die Verkehrsschilder abhängen.

"Wir wollen nicht nur Straße und Bürgersteig. Wir wollen Plätze und Sitzgelegenheiten", sagt Fortmann, während gerade wieder ein Lastwagen die Bremer Straße hoch donnert, vorbei an Friseurgeschäften, Modeläden und Banken. Die Bürgersteige zu beiden Seiten sind nur schmal. "Man kann kein Angebot an die Straße stellen", sagt Fortmann, der auch Vorsitzender der Werbegemeinschaft ist. "Wenn ein Lkw durchrauscht, liegt alles daneben."

Die Bremer Straße ist die Hauptverkehrsstraße von Bohmte. Die Gemeinde zwischen Osnabrück und Ostwestfalen hat 13.000 Einwohner. Genauso viele Fahrzeuge passieren täglich den Ort, darunter mehr als 1000 Lastwagen. "Der Verkehr ist aber ein Standortfaktor", sagt Bürgermeister Klaus Goedejohann (CDU). Deshalb solle die Durchfahrt erhalten bleiben, der Verkehr jedoch "menschlicher" werden. Ergebnis: Bohmte nimmt als einzige deutsche Kommune am EU-Projekt "Shared Space" teil und will den Schilderwald reduzieren.

Im kommenden Sommer lässt die Gemeinde ein Teilstück der Bremer Straße einheitlich rot pflastern. Bürgersteige, Zebrastreifen, Ampeln und Verkehrsschilder werden verschwinden, damit wird die Trennung zwischen Fußgängern, Radfahrern und Autofahrern aufgehoben. "Dieses System will die Verkehrsteilnehmer in Kontakt treten lassen und dadurch Geschwindigkeit abbauen", sagt der Bürgermeister.

"Die Idee ist, dass Menschen mit Geschwindigkeiten unter 40 km/h im Stande sind, ihre Probleme selbst zu lösen", erläutert der niederländische Verkehrsplaner Hans Monderman, der "Shared Space" begründet hat. "Damit fließt der Verkehr besser, wir haben weniger schwere Unfälle, und die Leute benehmen sich anständiger." Dabei sei die Regel "rechts vor links" ausreichend.

"Die Leute müssen sich selbst wieder mehr Verantwortlichkeit für ihr Benehmen zumuten", sagt Monderman. "Dazu müssen diese Entwürfe immer auch ein bisschen Risiko spürbar machen, was die Leute zuerst nicht gerne mögen." Er habe dieses Prinzip in den Niederlanden bereits in mehr als 100 Orten getestet, stets habe es sich bewährt. Lediglich ein kleiner Teil der älteren Menschen habe zunächst Probleme, sich an das neue System zu gewöhnen.

Die niedersächsische Landesregierung begrüßt das Modellprojekt. "Aus unserer Sicht hat hier eine Kommune die Verantwortung für innovative Wege in der Verkehrspolitik übernommen", sagt Andreas Beuge vom Verkehrsministerium. Bei solchen Maßnahmen wie in Bohmte sei jedoch ein gewisses Fingerspitzengefühl gefragt, um Gefahrenpunkte zu beachten. Auch seien Verkehrsschilder in großen Städten nicht verzichtbar. "Aber es muss unser Anliegen sein, den Schilderwald ein wenig einzudämmen."

Ein kleiner Teil des Bürgersteigs in Bohmte ist bereits rot gepflastert - zu Anschauungszwecken. Direkt dahinter befindet sich das Landgasthaus Gieseke-Asshorn. "Wenn der Verkehr langsamer fließen muss, wird es auch für die Lkw-Fahrer unangenehmer", hofft die Inhaberin Brigitte Asshorn. Den Verkehr empfand sie bislang als geschäftsschädigend, "Shared Space" soll für Abhilfe sorgen: "Wir werden draußen eine schöne Außenanlage machen. Dann werden wir bis an die Straße rangehen.

Weitere Infos unter: www.spiegel.de

 

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