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„Fahrradfahrer haben eine Alternative. Die Natur nicht.“ – Winterdienst auf Fahrradwegen

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Jedes Jahr stehen Kommunen in der kalten Jahreszeit vor einem Problem: Die Fahrradwege sind vereist und behördliche Anordnungen verhindern den Einsatz von Streusalz. Neben der Frage des richtigen Maschineneinsatzes wird daher die Anwendung des richtigen Streumittels divers diskutiert. Während manche Kommunen gar nicht streuen, greifen andere zu Sole und wieder andere forschen zusammen mit Universitäten an einer kostengünstigen und effektiven Alternative.

Der Schnee kommt. In Zeiten des Klimawandels kommt er zwar seltener, aber er kommt. Und das meistens zu den unpassendsten Zeiten. Leidtragende sind oftmals die schwächeren Verkehrsteilnehmer, die früh morgens vor vereisten oder zugeschneiten Fahrrad- und Fußwegen stehen. Das könne so nicht weitergehen, sagt Roland Huhn, Verkehrsrechtsexperte des Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Clubs. Wichtig sei eine Priorisierung der Rad- und Fußwege im Winterdienstplan, denn für ungeschützte Verkehrsteilnehmende sei rutschiger Untergrund eine viel höhere Gefahr als für Auto- und Businsassen. Zurzeit geschehe eher das Gegenteil, wie Huhn weiter ausführt: „Radwege werden oft zuletzt geräumt, obwohl Kommunen nach einem Urteil des Bundesgerichtshofs dazu verpflichtet sind, verkehrswichtige innerörtliche Radwege an gefährlichen Stellen zu räumen und zu streuen.“

Im Norden das Eis

Doch trotz Urteil ist die Logistik des Räumens nicht immer ganz einfach. Denn bei dem Winterdienst von Fahrradwegen müssen Kommunen schnell sein. Diese müssten geräumt werden, bevor darauf zu viele Verkehrsteilnehmer gefahren sind, wie Bettina Hohmann von der Bremer Stadtreinigung berichtet: „Wenn wir früh genug da sind, reicht das eigentlich an Winterdienst.“ Eine weitere Streuung sei nicht notwendig. Wenn der Fahrradweg aber vor der Räumung stark frequentiert wird, kommt es zu Vereisungen und Spurrillenbildung, die mit Bürsten und Schneeschilden nicht ohne weiteres zu beseitigen sind. Eile ist also geboten. „Schnee an sich ist aber gar nicht das Problem“, sagt Hohmann. In Bremen seien Eis und überfrierende Nässe viel gefährlicher. Sand eigne sich kaum, um dagegen vorzugehen, würde den Grip auf dem Fahrradweg manchmal sogar noch verschlimmern. Deswegen setzt die Stadtreinigung auf eine zeitnahe Räumung mit Kleinschleppern, um der winterlichen Witterung Herr zu werden.

In Zeiten hohen Schneefalls haben Deutschlands Straßendienste jedoch alle ein Problem, wie Roland Huhn vom ADFC angibt. So komme es oft vor, dass der Bürgersteig vom Winterdienst zugeschüttet werde. Kein unbegründeter Vorwurf, wie die Nachfrage bei Expertin Hohmann ergibt: „Das Problem ist, dass Fahrradwege nun mal zwischen Fußweg und der Straße liegen.“ Auf der einen Seite seien es oftmals Anwohner, die den Schnee von ihrem Bürgersteig auf den Radweg befördern würden, um die eigenen Pflichten des Schneeschiebens schnell abzuarbeiten. Der andere Faktor hängt mit der Logistik des Räumdienstes zusammen: „Manchmal kommt ein Kleinschlepper und räumt den Bürgersteig, und der Streuer danach schiebt wieder viel Schnee in Richtung des Fahrradwegs.“ Logistisch sei das bei einer Stadt der Größe Bremens nicht aufeinander abzustimmen.

Im Süden der Schnee

Ähnliches berichtet auch Antje Saft vom Baureferat München. In der Landeshauptstadt Bayerns liege es vor allem an den verschiedenen Priorisierungen von Radwegen und Straßen, die zu dieser Verschiebung führen können. „Mehr Digitalisierung kann da sicher helfen, aber es ist auch ein langer Weg, bis man die entsprechenden Dienste überhaupt etabliert hat.“ Solange die technischen Lösungen noch nicht ausreichen, setzen die Münchener ebenfalls auf eine parallele Räumung von Straßen und Fahrradwegen. Für die Betreuung des Radverkehrsnetzes haben sich Kleintraktoren bewährt. Zur Glättebekämpfung wird Splitt auf den Fahrradwegen ausgebracht. Wenn das Material jedoch zu lange auf den Straßen bleibt, besteht das Risiko, dass stehende Fahrzeuge durch Rollsplitt beschädigt werden. Die Steinchen werden deswegen zeitnah abgekehrt, wenn Eis und Schnee abgetaut sind.


„Die fahren sich ja `nen Wolf“: Sole statt Streusalz?

Diese Problematik besteht beim Einsatz von Streusalz nicht. Das Mittel taut Eis effektiv auf und verschwindet danach restlos. Bekannterweise geht jedoch mit den optimalen Eigenschaften der Glättebekämpfung auch eine umweltschädigende Wirkung einher. Doch was für Möglichkeiten bleiben noch? Sand und Splitt haben eine abstumpfende Wirkung, bringen aber, wie bereits erwähnt, ihre eigenen Nachteile mit. Beide müssen nach Tauen des Schnees aufwendig entfernt werden, und durch Splitt können Fahrradreifen beschädigt werden, wenn er zu scharfkantig ist. In Kurven vermindert das Material außerdem die Haftung. Auch nicht optimal, aber immerhin effektiver, ist der Einsatz von Sole. Das im Wasser gelöste Streusalz ist zwar umweltschädigend aber „zwischen Pest und Cholera immer noch die bessere Variante“, wie Bettina Hohmann angibt. In Bremen wird jedoch keine Sole auf Radwegen ausgebracht. Und selbst wenn – die Soletanks auf kleinen Geräteträgern verfügten nur über ein unzureichendes Volumen. „Die fahren sich dann ja `nen Wolf“, befürchtet Hohmann.

Anders sieht es Helene Herich vom Zweckverband Abfallwirtschaft Region Hannover. In der Landeshauptstadt Niedersachsens sind Solesprühfahrzeuge nach einer dreijährigen Test-Periode auch auf ausgewählten Fahrradwegen im Einsatz. Soleversorgung sei jedoch kein Problem, da die Betriebsstätten der Stadt mit Lagerungsstationen ausgerüstet wurden. Auch seien die Solestrecken so geplant, dass eine Beladung ausreiche. Auf den Fahrradwegen wird mit einem Vorräumbesen und FS100-Streuung gearbeitet. Bei tieferen Temperaturen kommt FS30 zum Einsatz. „Neben der Streusalz-Ersparnis bietet die reine Flüssigstreuung auch den Vorteil punktgenauer Dosierung der eingesetzten Streumittel“, so Herich. So könne genau kontrolliert werden, welche Bereiche dem Salz ausgesetzt sind. Sole ist also effektiv auf Radwegen. Fakt ist allerdings: es belastet die Umwelt. Doch wie sehen die anderen Optionen aus? „Den öffentlichen Nahverkehr nutzen“, sagt Hohmann. „Die Fahrradfahrer haben eine Alternative. Die Natur nicht.“

E-Win: Taumittel im Test

Zugegebenermaßen sieht es zurzeit etwas dünn aus, was weitere Optionen für Radwege angeht. Zwar gibt es einige vielversprechende Mittel, wie z.B. Blähton oder Lavagranulat. Aber um Streusalz zu ersetzen, muss die entsprechende Alternative umweltverträglich, effektiv und kostengünstig sein. Diese drei Eigenschaften vereint zurzeit noch kein Rohstoff, sodass Kommunen zumindest beim Sichern ihrer Gefahrenstellen auf Salz und Salzsohle angewiesen sind, wenn sie überhaupt Taumittel ausbringen. Dennoch gibt es Bestrebungen, eine bessere Lösung zu finden und in Zukunft ganz auf salzhaltige und umweltschädliche Stoffe zu verzichten, wie beispielsweise das Projekt E-Win (Effizienter Winterdienst auf Radwegen). Wissenschaftler der TU Dresden forschen bei diesem Kooperationsprojekt in Zusammenarbeit mit der Stadtreinigung Hamburg nach neuen Taumitteln. Die Vorstellung von einem Material, das Glätte bekämpft und parallel dazu komplett umweltschonend ist, sei jedoch utopisch, wie die wissenschaftliche Mitarbeiterin Maike von Harten berichtet: „Jedes Mittel hat irgendwelche Auswirkungen, das kann so gut sein, wie es will.“ Einen größeren Stellenwert nehme dagegen die Abwägung zwischen Umweltfreundlichkeit und Effektivität ein. Um eine Bandbreite an Stoffen auf deren Eignung im Winterdienst zu untersuchen, fanden im vergangenen Winter Tests mit Taumitteln statt, die eine verträglichere Umweltbilanz als Streusalz aufweisen.

Neben Kalzium-Magnesium-Acetat wurden Natrium-Formiat und Kalium-Acetat als Sole auf den Straßen Hamburgs ausgebracht. Als Referenz kam Streusalz-Sole (Natrium-Chlorid) zum Einsatz, die allerdings auch die beste Tauwirkung unter den Stoffen erzielte. Jedoch zeigte sich auch Natrium-Formiat für den Einsatz geeignet. Bei tieferen Temperaturen ab minus sechs Grad eignet sich dagegen Kalium-Acetat. Die aufgeführten Stoffe sind zwar alle teurer als Streusalz, jedoch stelle der Versuch ein Paradebeispiel dar, das zeige, wie praktikabel die Alternativen für den Straßendienst seien. „Das richtige Mittel ist aber nur eine Seite der Medaille“, betont von Harten, „mindestens ebenso wichtig ist ein passendes Räumkonzept.“ Auch hier müssten Kommunen abwägen, welches Mittel sie auf welche Weise einsetzen wollen. E-Win läuft noch bis Sommer 2022. Im kommenden Winter sollen erneut alternative Streustoffe getestet werden.

Umweltverträglichkeit und Effektivität

Für die effektive Glättebekämpfung auf Fahrradwegen ist nach wie vor keine optimale Möglichkeit vorhanden. Bei Alternativen zu Streusalz muss permanent zwischen Umweltverträglichkeit und Effektivität abgewägt werden, und das garantiert nicht, ob die gewählten Mittel überhaupt eingesetzt werden dürfen. Sand und Splitt leisten anfangs zwar einen Beitrag zu sicheren Fahrradwegen, bringen aber ihre eigenen Nachteile mit sich. Sole bietet eine bessere Möglichkeit der Ausbringung, belastet jedoch auch die Umwelt. Auch bei wissenschaftlichen Studien ist die „eierlegende Wollmilchsau“ der Taumittel noch nicht gefunden. Alle erforschten Lösungen sind nur bedingt umweltfreundlich, und auch die Kosten machen die Alternativen für Kommunen unattraktiv. Bis es so weit ist und der perfekte Ersatz für Streusalz gefunden ist, bleibt dem Straßendienst auf Fahrradwegen eigentlich nur eines: rechtzeitig räumen.

Bilder: Bucher / Unsplash: Tom Dick, redcharlie, Denise-jahns

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