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DIFFERENZIERTER WINTERDIENST Einsätze flexibel an die Witterung anpassen

Mit dem Klimawandel verändert sich auch der Winterdienst. Deshalb ist es äußerst sinnvoll, dass sich die Verantwortlichen ab und an Details zu Streustoffen und ihre Ausbringmengen, zu Planungsfragen hinsichtlich Wetter sowie die Ökobilanz ansehen.

Lesedauer: min | Bildquelle: Hersteller
Von: Tobias Meyer

Wer überall mit den gleichen Settings fährt und einfach ausrückt, wenn die Fahrbahn weiß wird, ist längst nicht mehr auf der Höhe der Zeit. Schon in den 1980er-Jahren mussten Lösungen für den oft zu hohen Streusalzeinsatz gefunden werden, da sich deswegen Schäden abzeichneten. Der „differenzierte Winterdienst“ wurde etabliert, sprich die Streustoff-Ausbringung zeitlich und örtlich an die Witterung angepasst. Nach einigen Jahren des Sammelns von Erfahrungen folgten ab den 1990ern wissenschaftliche Untersuchungen, um das System möglichst fundiert zu optimieren. Aktuell wird dabei auch die Ökobilanz berücksichtigt.

Vorbeugen muss Standard werden

Wasser friert ab null Grad zu Eis – der Boden kann jedoch kälter sein als die Luft, weshalb der Blick auf das Thermometer oder auf die Wetterprognose nicht ausreichen. Zudem nimmt Wasser maximal 22 Prozent Salz auf. Dies bedeutet, dass bei -21 Grad mit regulärem Natriumchlorid (NaCl) Schluss ist – theoretisch. In der Praxis geht man meist nur bis -15 Grad, da dann – im Vergleich zu -2 Grad – bereits die fünffache Menge Salz nötigt ist. Wird es kälter, braucht es entweder anderes, teureres Material, wie Kalzium- oder Magnesiumchlorid. Diese ziehen aber bereits Wasser aus der Luft, weshalb sie nicht mehr offen gelagert werden können, hier braucht es geschlossene Säcke, was unpraktischer ist. Reine Sole kann bis etwa -6 Grad verwendet werden, denn sie wird meist durch den Niederschlag auf bis zu zehn Prozent Restsalzgehalt verdünnt, wodurch bei kälteren Temperaturen die Gefahr von Überfrieren entsteht.

Viele Glättefälle wie überfrierende Nässe, Reifglätte und Eisregen lassen sich allerdings bereits vorbeugend bekämpfen, was nach Ansicht des Vorsitzenden des Fachausschusses Winterdienst, Horst Hanke, zum Standard werden muss: „Das Auftauen braucht sehr viel Energie, durch vorbeugendes Arbeiten kann man bis zu 50 Prozent sparen. Wurde dann in einem von zehn Fällen doch mehr gestreut, als schlussendlich notwendig war, hat man immer noch 45 Prozent gespart.“ Da auch Feuchtsalz nicht ewig auf der Fahrbahn liegen bleibt (nur 30 Prozent bleiben über zwei Stunden liegen, der Rest wird durch den Verkehr weggeschleudert und davongetragen), muss die Ausbringung zeitnah vor der Glättebildung erfolgen. Denn: Je Feuchter das Salz, desto länger bleibt es liegen.

Kleine Mengen Salz im Rahmen von zwei bis drei g/m2 halten sich dabei aber ohne Regen für bis zu zwei Wochen auf der Fahrbahn, was gegen Reifglätte durchaus noch ausreicht. Erreicht werden kann dies gut durch reine Sole (FS100) mit zehn ml/m2. Selbst für Blitzeis kann das beim ersten Regenguss noch ausreichen. Dadurch werden die Autofahrer weniger überrascht, und die Verzögerung der Glättebildung verhindert Unfälle. „In Berlin gab es den Fall, dass es bei -1 bis -2 Grad nur leicht genieselt hat. Von fünf Uhr morgens bis Mittag kam es daher zu vielen Unfällen, auch mit Fußgängern im Krankenhaus. Laut Gutachten hätten hier sieben g/m2 Salz ausgereicht, da wenig Wasser auf der Fahrbahn war und die Temperaturen nur knapp unter dem Gefrierpunkt lagen. Abstumpfende Mittel helfen bei Nässe dagegen nicht“, weiß Hanke.

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Aggressiv räumen

Auch bei Schnee sollten Fachleute nicht abwarten, bis sich eine vernünftige Decke gebildet hat oder der Niederschlag aufhört, sondern die Einsätze direkt schon während des Schneefalls starten. „So kann sich nichts festfahren, und Schneeglätte wird direkt vermieden. Zehn bis 15 g/m2 Salz hält den Schnee zudem räumfähig, wodurch dieser auch einige Stunden später noch viel einfacher zu entfernen ist“, schildert der Winterdienst-Experte. Wirkliches Auftauen sei während des fallenden Schnees dagegen nur schwer möglich, dafür bräuchte es mehr als 100 g/m2, was die bisher empfohlene maximale Streumenge von 40 g/m2 weit überschreitet. Auch rein abstumpfendes Streuen mit Splitt funktioniert hier nicht, weshalb dies heutzutage kaum mehr praktiziert wird. Stattdessen sei es laut Hanke erforderlich, möglichst schnell und auch aggressiv zu räumen. Denn wenn mehr Schnee direkt entfernt wird, muss später weniger aufgetaut werden. Dafür sollte die Technik entsprechend leistungsfähig sein (keine Matsch-Pflüge), und ein Arbeiten mit Stahl- oder Stahl-Gummi-Leisten sei ratsam. Statt der Schwimmstellung wird auch das Fahren mit Anpressdruck empfohlen, wobei dann auch Überfahrsicherungen im Pflug vorhanden sein sollten. Im Extremfall müsse der Schnee schließlich auch abgefahren werden.

Immer wieder wird Hanke zudem nach der norwegischen Methode gefragt: Im hohen Norden wird 30 bis 40 Grad warmer Splitt auf die nur grob von den größten Schneemassen befreiten Straßen gestreut. Dieser sinkt ein und gefriert fest und bietet so Haftung ohne Salz. „Dafür sind aber große Mengen im Rahmen von 150 bis 200 g/m2 nötig, zudem müssen Schnee und Eis dauerhaft bleiben“, so der Fachmann. Außerdem sei das Verkehrsaufkommen in Skandinavien sehr viel geringer, denn nach 300 bis 400 Fahrzeugen sei auch dieser Splitt wieder weg. Im Fußgängerbereich kann sich Hanke dieses System vorstellen, auf Radwegen jedoch nicht. Denn dort erwischen die schmalen Reifen kaum genug Körner, um die notwendige Sicherheit zu bieten.

Salz klimatechnisch am besten

Ebenfalls ein zunehmend wichtiger Punkt ist die Ökobilanz: Hier wird der CO2-Fußabdruck des kompletten Winterdienstes erfasst. Dazu gehören im besten Fall nicht nur der eigene Diesel- und Stromverbrauch, sondern auch die Energie, die für Erzeugung und Transport der Streustoffe angefallen ist. Hier fiel in Nürnberg auf, dass der vermeintlich als ökologische Salz-Alternative gewählte Blähton auf Fahrradwegen für zwei Drittel der Klimagas-Emissionen des örtlichen Winterdienstes verantwortlich war. Auch in Hamburg stellte man fest, dass Splitt statt Salz in diesem Aspekt keine Vorteile bringt, da er in größeren Mengen transportiert und im Frühjahr aufwendig wieder entsorgt werden muss. Laut Hanke können mit Splitt im Vergleich zu Salz schnell die fünffachen CO2-Werte zusammen kommen. Natürlich müsse das Salz dennoch umwelttechnisch gut im Auge behalten werden. Gute Möglichkeiten, hier mit niedrigeren Ausbringmengen zurecht zu kommen, bietet der Differenzierte Winterdienst, wozu laut Hanke auf jeden Fall das vorbeugende Arbeiten gehört, was bis -6 Grad am besten immer mit FS100 erfolgen sollte. Einzige Ausnahme ist starker Schneefall.

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