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Die Qual der Wahl beim richtigen Streumittel: So lassen sich Winterdienstler nicht aufs Glatteis führen

Welches Streugut eignet sich für welche Art von Glätte? Wie wirken abstumpfende und auftauende Mittel eigentlich? Welche Räumtechnik ist am effektivsten? Beim 62. VKU-Winterdienstseminar des Betriebshofs Kempten gab es dazu die aktuellsten Erkenntnisse

 

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Von: Jessica Gsell

„Andere Länder, andere Sitten“, heißt eine bekannte Redewendung. Beim Winterdienst sieht es da nicht anders aus. Oder haben Sie gewusst, dass in Norwegen mitunter im Streusilo erhitzter heißer Splitt auf den Fahrbahnen ausgebracht wird? Was sich erst einmal kurios anhört, hat jedoch einen Sinn: Das Streugut erhält auf diese Weise genau die richtige Wärme, um das Eis an der Oberfläche antauen zu können, damit der Splitt leicht einsinken kann. Da die Temperaturen in den norwegischen Wintern stetig unter 0 Grad liegen, gefriert das Angetaute gleich wieder. Das Ergebnis: Durch den Splitt ist die Eisschicht nun griffiger. Wer sich jetzt überlegt, diese Methode auch in Deutschland anzuwenden, dem rät Dr.-Ing. Horst Hanke, Vorsitzender des Fachausschusses Winterdienst des VKU, davon ab. Die Begründung liegt ganz einfach in der geografischen Lage Deutschlands. Denn im Gegensatz zu Norwegen, halten sich bei uns im Winter die Temperaturen nur selten lange am Stück unter 0 Grad – der Wert wird vielmehr ständig über- und unterschritten. Genau dieser Wechsel zwischen Tau- und Gefrierwetter macht den Winterdienst in Deutschland zu einer richtigen Herausforderung. Beim 62. VKU-Winterdienstseminar des Betriebshofs Kempten gab Hanke deshalb einen Einblick in den differenzierten Winterdienst und erklärte unter anderem, wie Glätte überhaupt entsteht, welche Streustoffe für welche Art von Glätte geeignet sind, aber auch, welche Räum- und Streutechniken für welchen Einsatz Sinn machen. 

Nur mal kurz bei Glätte mit dem Fahrzeug ausrücken und etwas Salz, Sole oder Splitt verteilen – so einfach läuft der Winterdienst heutzutage nicht mehr ab. In den jetzigen Zeiten müssen sich die Verantwortlichen Gedanken darübermachen, wann sie wo mit welchem Streumaterial aufbrechen, um effektiv, wirtschaftlich aber auch ökologisch zu arbeiten. Um die richtige Wahl beim Streugut treffen zu können, ist es wichtig zu wissen, dass Glätte nicht gleich Glätte bedeutet. Es gibt vier verschiedene Formen: Eis-, Schnee- und Reifglätte sowie Glatteis bzw. Eisregen. „Die kritische Temperatur ist hier immer 0 Grad. Denn dann gefriert Wasser zu Eis“, erklärt Hanke. Dabei kann die Bodentemperatur allerdings niedriger sein, als die der Luft.

Die verschiedenen Formen von Glätte

Bei der ersten Form, der Eisglätte, handelt es sich um überfrierende Nässe. „Das ist eine der gefährlichsten Formen“, gibt Hanke zu bedenken und fügt hinzu: „Hier passieren die meisten Unfälle.“ Tagsüber ist die Fahrbahn nur nass, doch sobald die Temperaturen nachts unter 0 Grad sinken, bildet sich eine Eisfläche. Problematisch ist hier vor allem, dass dies an bestimmten Stellen wie z.B. Brücken früher geschieht als an anderen. „Der Übergang ist dann nicht einfach zu erkennen“, beschreibt Hanke die Tücken bei dieser Art von Glätte. Eine positive Nachricht gebe es aber auch: Die Eisglätte lässt sich leicht vorhersagen und wird am besten durch präventive Streuung bekämpft. Die zweite Form, die Schneeglätte, entsteht, wenn bei Schneefall die Temperatur unter 0 Grad sinkt. „Diese Art der Glätte ist zwar nicht so gefährlich im Hinblick auf Unfälle, weil sie flächendeckend auftritt und vom Autofahrer gut gesehen wird. In der Regel fährt er dann auch vorsichtig“, weiß Hanke. Schneeglätte sei aber aus einem anderen Grund nicht zu unterschätzen: Durch sie wird die Leistungsfähigkeit und Kapazität der Straße minimiert – und das um die Hälfte. Denn bei einem solchen Wetter fahren die Verkehrsteilnehmer beispielsweise langsamer an Ampeln an oder biegen vorsichtiger in Einmündungen ein. Wird nichts getan, ist es nur eine Frage der Zeit, bis der Verkehr auf den Hauptstraßen zusammenbricht, prophezeit Hanke und empfiehlt deshalb den Winterdienstlern: „Hier ist es sinnvoll, bereits den frisch gefallenen Schnee zu räumen, bevor er festgefahren wird.“ Bei der dritten Form, der Reifglätte, wird Tau beim Abkühlen der Temperaturen zu einem ganz dünnen Eisüberzug. Diese Art der Glätte ist für den Verkehrsteilnehmer ebenfalls nur schwer zu erkennen, da es im Vorfeld keinen sichtbaren Regen gibt, der auf die Fahrbahn fällt. Allerdings kann auch hier präventives Streuen helfen. Auf Fahrbahnen, die einmal mit Salz behandelt wurden, bildet sich keine Reifglätte mehr: Die Salzreste, die sich danach im Asphalt befinden, reichen aus, um eine Neubildung zu verhindern. Die vierte Form der Glätte, das Glatteis bzw. der Eisregen, entsteht, wenn die Temperaturen über einen langen Zeitraum sehr niedrig waren und plötzlich ein Wetterwechsel von Hoch auf Tief stattfindet. Daraufhin fällt Regen auf die tiefgefrorene Fahrbahn und verwandelt diese in eine Eisfläche. Doch auch ein solches Wetterphänomen lässt sich laut Hanke über Prognosen vorhersagen und mit dem Einsatz von Streugut bekämpfen.

Auftauende und abstumpfende Streumittel

Nun geht es darum, für jede Glätteart auch das richtige Streumittel einzusetzen. Ganz allgemein lässt sich zwischen auftauenden und abstumpfenden Stoffen unterscheiden. „Das, was ich Ihnen heute an Einsatz von Streustoffen empfehle, ist wissenschaftlich fundiert“, verspricht Hanke. Zur Gruppe der auftauenden Stoffe zählen Salze – sowohl in fester als auch flüssiger Konsistenz. „Wer das „auftauend“ hier wörtlich nimmt, liegt allerdings falsch. Denn Salz ist kein Wundermittel, das Eis auftaut“, erklärt Hanke. Das schafft nur Wärme, wie im Fall des erhitzten Splitts. Die Funktionsweise der Salze sei dagegen eine andere: Sie setzen den Gefrierpunkt herab. Denn jeder Stoff hat einen unterschiedlichen Gefrier- und Siedepunkt. Bei Wasser sind das 0 und 100 Grad. Dem Wasser wird nun Salz zugemischt: Daraufhin ändert sich der Gefrierpunkt – je nach Konzentration – beispielsweise bei einer 10-prozentigen Natriumchlorid-Lösung von 0 Grad auf -7 Grad. Das Maximum beim Mischverhältnis, das bei einer Natriumchlorid-Lösung Sinn macht, sei laut Hanke eine 23-prozentige Lösung – hier liegt der Gefrierpunkt dann bei -21 Grad. Genau aus diesem Grund mache auch das präventive Streuen so viel Sinn. Fällt das Salzkorn dagegen auf eine bereits vorhandene Eisfläche, setzt es genau an dieser Stelle den Gefrierpunkt herab – das Eis beginnt zu tauen und vermischt sich mit der umliegenden Fläche, die ebenfalls zu tauen anfängt. Diese Variante dauert allerdings ihre Zeit. Deshalb empfiehlt Hanke bei überfrierender Nässe und Glätte die vorbeugende Streuung. Anders sieht es da bei Schneefall aus: Hier macht das Streuen von Salz erst während des Räumvorgangs Sinn. Und wieso nicht einfach eine reine Salzlösung verwenden? Die Wirkung sei zwar hervorragend, da sich die Salzlösung besser verteilt und damit schneller wirkt. Dies funktioniert aber nur bei dünnen Eisschichten und bei Temperaturen leicht unter 0 Grad (und bis -6 Grad), da die Salzlösung sonst auf der Straße überfriert und sogar Glätte erzeugt, erklärt Hanke. Zu den abstumpfenden Stoffen zählt dagegen beispielsweise der Splitt. Dieser wirkt weder chemisch noch physikalisch, sondern mechanisch, indem er die Oberfläche der Schneedecke aufraut und so ihre Griffigkeit verbessert. Wird der Splitt allerdings einfach nur auf eine Eisfläche gestreut, bewirkt er nichts – genauso, wie wenn er bei viel Schnee einfach durchsickert. „Dass Salz eine schädliche Auswirkung auf die Umwelt hat, ist unumstritten“, weiß Hanke, betont aber, dass das Streuen von abstumpfenden Stoffen auch aus ökologischer Sicht keine bessere Lösung sei, wie eine Studie des Bundesumweltamtes gezeigt hat. Zum einen wegen der fehlenden Wirkung auf Eis. Zum anderen, weil mit Splitt viel öfter gestreut und dieser nach dem Winter dann zusätzlich noch entsorgt werden muss. Hanke empfiehlt deshalb im Einklang mit allen Experten sowie der Studie des Umweltbundesamtes, auf schnell befahrenen und stark belasteten Straßen sowie an besonderen Gefahrenpunkten Salz – vor allem Feuchtsalz – zu streuen. Auf Nebenstrecken ohne besondere Gefahrenpunkte, auf denen auch keine Streupflicht besteht, rät der Fachmann, auf den Streueinsatz zu verzichten. Für den Fußgängerbereich dagegen empfiehlt er den Einsatz von abstumpfenden Streumitteln – außer bei Reif- und Eisglätte, wo es unwirksam ist.

Feuchtsalz-Streuung mit Kompromisslösungen

Ein besonderes Augenmerk legt Hanke daraufhin auf die Feuchtsalz-Streuung, die seiner Ansicht nach eine bessere Streuverteilung aufweist. Weitere Vorteile seien die bessere Haftung auf der Fahrbahn, aber auch die schnellere Tauwirkung aufgrund des Soleanteils. „Der Nachteil ist allerdings: So ein Gerät ist teuer“, weiß Hanke und fügt hinzu: „Man spart hier aber so viel an Salz ein, dass es sich lohnt.“ Neben der Wirtschaftlichkeit sprächen zudem die Erhöhung der Verkehrssicherheit sowie die Umweltfreundlichkeit für einen Einsatz von Feuchtsalz. Eine Steigerung gebe es dann nur noch in Form einer reinen Flüssigkeitsstreuung. „Hier wird reine Salzlösung über Sprühdüsen ausgebracht“, erklärt Hanke. Umfangreiche Praxistests in den vergangenen Jahren hätten gezeigt, dass die Liegedauer des Streuguts hier um einiges besser sei als bei Feucht- oder Festsalzstreuung. Zudem wird eine noch geringe Menge des Streumaterials benötigt. Ein weiterer Vorteil der Flüssigkeitsstreuung: Das Material lässt sich über eine große Streubreite verteilen, und dass bei einer hohen Streugeschwindigkeit. Doch wie bei allen anderen Möglichkeiten, gibt es auch bei der Flüssigkeitsstreuung Aspekte, die gegen diese Maßnahme sprechen: Zum einen ist da der Kostenfaktor. Denn auch für die Flüssigkeitsstreuung braucht der Winterdienstler speziell ausgestattete Fahrzeuge. Und da er nicht ausschließlich auf diese Art des Streuens setzen kann, benötigt er gleich zwei verschiedene Ausführungen. Das zweite Manko: Die Größe des Wassertanks. Zwar braucht man für den Einsatz weniger Salz, dafür aber große Mengen an Wasser. Um nicht ständig nach kürzester Zeit nachfüllen zu müssen, ist der Winterdienstler also auf ein großes Fahrzeug, mit einem großen Tank, angewiesen. Ein ganz wesentlicher Nachteil der Flüssigstreuung ist zudem, dass diese nicht universell einsetzbar ist, sondern nur bei leichter Glätte und Temperaturen bis maximal -6 Grad.

Als Kompromisslösung sieht Hanke deshalb das Streuen von Feuchtsalz FS 50, 70 oder 100 über den Streuteller. Dafür gibt es speziell entwickelte Anbaugeräte. Bei einer Fahrtgeschwindigkeit zwischen 20 und 30 km/h sowie einer Streubreite von 30 Metern hätten Tests bereits gute Ergebnisse für Einsätze im Kommunalbereich geliefert. „Ich glaube, dass wird die Zukunft im kommunalen Bereich sein“, ist sich Hanke sicher. Bei neueren Streugeräten können hier oftmals bereits die vorhandenen verwendet werden – gegebenenfalls muss die Programmierung für einen erhöhten Soleanteil geändert, ein zweiter Schlauch zum Streuteller für eine bessere Pumpleistung installiert oder auch ein zusätzlicher Lösungstank verbaut werden. Diese Änderungen gehören bei den neuen Streugeräten meist schon serienmäßig dazu. Grundsätzlich sei auch ein Ausbringen von FS 100 über den Streuteller möglich. „Allerdings nur für eine geringe Breite bis 8 Meter, eine normale Streudichte ab 20g/m2 und für eine geringe Geschwindigkeit von maximal 40 km/h“, berichtet Hauke.

Effektive Räum- und Streutechniken

Doch wie sieht sie nun aus, die beste Räum- und Streutechnik? Wichtig sei zu allererst einmal eine möglichst gute mechanische Räumung mit dem Schneepflug. „Früher hieß es mal, dass sich eine Räumung erst ab 3 cm Schnee lohnt. Das stimmt aber nicht“, weiß Hauke. Vor allem bei Schneefall sei es wichtig, so viel wie möglich erst einmal wegzuräumen, damit das anschließend gestreute Salz die Möglichkeit hat, den Rest aufzutauen. Bei überfrierender Nässe, Reifglätte und Eisregen gelte es, präventiv zu streuen – das funktioniere vor allem dann, wenn die Winterdienstler auf zuverlässige und aktuelle Wetterprognosen zurückgreifen könnten. Hauke rät außerdem, stets darauf zu achten, ob das Streugerät am Fahrzeug auch richtig eingestellt ist. „Eine optische Kontrolle reicht oftmals aus“, weiß der Fachmann. Ansonsten lohne es sich, anhand der Streckenangabe sowie des fehlenden Streuguts einfach einmal den Verbrauch auszurechnen. „Alle Ergebnisse mit einer Abweichung von plus, minus 10 Prozent sind kein Problem“, weiß Hanke. Auch die Streubreite sollte immer wieder mal überprüft werden.

Text: JG – Redaktion Bauhof-online.de
Bilder: Hersteller/Bauhof-online.de

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