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Das Mekka der Alternativenergie

Seit sechzehn Jahren ersetzt Güssing fossile Brennstoffe durch Energie, die direkt im Ort erzeugt wird

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Güssing. "In Zukunft wird der wichtigste Energieträger Gas sein – allerdings nicht aus der Erde, sondern aus Biomasse. Daraus lassen sich alle notwendigen Energieformen erzeugen, die der Markt verlangt – Wärme, Kälte, Gas, Strom und sämtliche Treibstoffsorten – vom Gas über Benzin, Diesel bis zum Wasserstoff", erklärt Reinhard Koch, Leiter des europäischen Zentrums für erneuerbare Energie (EEE) in Güssing. Erdöl und Erdgas ließen sich demnach problemlos und ohne Komfortverlust durch Biomasse ersetzen. "Die derzeitigen Ressourcen an nachwachsenden Rohstoffen würden ausreichen, um den vierfachen weltweiten Energiebedarf abzudecken", betont Koch. Wesentlich sei dabei aber der energieeffiziente Einsatz der Biomasse.

 

Nachhaltiger Wandel

Güssing gilt weltweit als Musterbeispiel, wie Gemeinden und Regionen von fossilen – ausländischen – Energieträgern sowie steigenden Preisen unabhängig werden können. Dank innovativer Nutzung eigener Wald- und Landwirtschaftsflächen entwickelte sich in der ehemals ärmsten Region Österreichs in nur fünfzehn Jahren eine energieautarke und wohlhabende Stadt.

Entstanden ist die Vorreiterschaft Güssings am Sektor erneuerbarer Energie aus der Not der Stadt Ende der 1980er Jahre. Damals sah die Lage in der Bezirksstadt im Südosten Österreichs wirtschaftlich trist aus: Kaum Arbeitsplätze, ein Pendleranteil von rund 70 Prozent und eine starke Abwanderungstendenz vor allem in der jungen Bevölkerung. Zusätzlich gab es einen starken Kapitalabfluss durch Energiezukäufe (Öl, Strom, Kraftstoffe). Die vorhandenen Ressourcen der Region (45 Prozent Waldanteil) wurden dagegen kaum genutzt.

Der Fall des Eisernen Vorhangs 1989 wurde als Signal verstanden, etwas gegen die negative Entwicklung in Güssing zu unternehmen. 1991 ging die erste Fernwärmeanlage der Stadt auf Basis eines Biomasse-Blockheizkraftwerks ans Netz, kurze Zeit später folgte eine zweite. Mit dem stetigen Ausbau des Leitungsnetzes stieg durch neu angesiedelte Betriebe auch der Bedarf an Wärme im Ort. 1996 wurde die dritte und größte Anlage gebaut. "Dieses Projekt konnte nicht mehr durch eigene Mittel bewältigt werden. Hilfreich war in diesem Zusammenhang der EU-Beitritt Österreichs. Denn neben Landes- und Bundesförderungen gab es nun auch Geld aus Brüssel", erklärt Koch.

Für viele Betriebe ist die billige Energie ein Argument, nach Güssing zu kommen, schildert Koch. So haben sich in den vergangenen eineinhalb Jahrzehnten über 50 Firmen in Güssing angesiedelt und dabei mehr als 1000 Arbeitsplätze hier geschaffen.

Kommunale Struktur

Aufgezogen wurden der Fernwärmebetrieb und die Vermarktung in Güssing wie andere klassische Kommunal-Dienstleistungen, beispielsweise Wasser und Abwasser. Mittlerweile verfügt die rund 4000 Einwohner zählende Bezirksstadt im Südburgenland über ein Fernwärmenetz mit 32 Kilometern Trassenlänge. Damit ist Güssing der größte Fernwärmeanbieter in Österreich, der seinen Energiebedarf ausschließlich aus Biomasse deckt. Knapp 98 Prozent des Wärmebedarfs in der Stadt stammen aus dem kommunalen Heizwerk, die restlichen zwei Prozent betreffen Einfamilienhäuser, die nicht an der Wärmeleitung partizipieren. Der Wärmebedarf aller Einfamilienhäuser der Gemeinde macht allerdings nur sieben Prozent des Gesamtbedarfs aus.

Die Energie-Bereitstellung hat sich für Güssing wirtschaftlich durchaus gelohnt: Verdiente die Gemeinde 1990 durch die Kommunalsteuer nur rund 400.000 Euro, so war es fünfzehn Jahre später das Dreifache.

Auch der Verkauf von Energie ist lukrativ. Die Südburgenländer machten damit im Vorjahr einen Umsatz von 13 Millionen Euro. Preislich sind die kommunalen Anbieter den derzeitigen Energie-Multis durchaus ebenbürtig, wenn nicht sogar überlegen. "Eine Gemeinde muss im Gegensatz zu einem börsennotierten Konzern keine riesige Rendite erwirtschaften. Wenn ein Prozent übrig bleibt, ist das ausreichend", betont Koch.

Durch die überschaubaren Dimensionen einer kommunalen Bioenergieanlage sei es für die Gemeinden auch kein Problem, entsprechende Finanzierungen über ihre gewohnten Bank-Strukturen zu bekommen, so der Energieexperte.

Benzin aus Holz

Bis Anfang 2007 erzeugte Güssing auch Biodiesel aus Raps. Der Druck der großen Anlagen und die Überkapazitäten am Markt machte aber den kleinen Betrieb wirtschaftlich uninteressant. "Statt Biodiesel erzeugen wir in der Anlage heute Salatöl und verdienen mehr als mit dem Sprit", sagt Koch.

Wesentlich mehr Zukunft als bei den Biotreibstoffen der ersten Generation (Biodiesel, Ethanol) sieht er bei den Biokraftstoffen der sogenannten zweiten Generation. Statt den öl- oder stärkehaltigen Bestandteilen wird hierbei die gesamte Pflanze verwertet. Diese wird in einer Biogasanlage zu Methan zersetzt, das anschließend durch Reinigung Erdgasqualität erlangt.

Eine andere Rohstoffquelle ist Holz. Dies wird zu Holzgas verbrannt, das ebenfalls einen hohen Methangehalt hat. Je nachdem, welche Energieform man benötigt, kann das Gas zur Erzeugung von Strom und Fernwärme genutzt werden oder als Treibstoff in das Erdgasnetz eingebracht werden. Zudem besteht die Möglichkeit, aus Gas (über das sogenannte Fischer-Tropsch-Verfahren) Benzin oder Diesel zu erzeugen.

Durch den hohen Wasserstoffanteil im Gas hat Güssing auch die Möglichkeit, diese Energiequelle zu nutzen. Voraussetzung dafür sei aber, dass die Technik noch entsprechend ausgereift wird, meint Koch.

Die Nutzung von Biomasse für die Energiebedürfnisse muss man sich laut dem Experten wie eine Pyramide vorstellen: Die aus heutiger Sicht technisch uneffizienteste Methode ist die Erzeugung von Wärme durch Verbrennen.

Wirtschaftlich am lukrativsten ist die Produktion von Treibstoffen. Alle anderen Energieformen wie Strom, Gas und Fernwärme entstehen dabei als Abfallprodukte. Eine Konkurrenz von Nahrung zu Energie besteht demnach bei einem vernünftigen Einsatz der Biomasse nicht.

Vielversprechend schauen auch die Versuche aus, statt klassischen Feldfrüchten wie Mais, Zuckerrübe, diversen Getreidesorten oder Raps Holz als Ausgangsmaterial für die Bioenergieproduktion einzusetzen. Der große Vorteil von Holz ist, dass es wesentlich mehr CO 2 speichert als Getreide. Da man aber die bestehenden Wälder nicht beliebig stark abholzen will, müsse die Landwirtschaft in Zukunft umdenken und die Flächen optimaler nutzen, so Koch. Das EEE testet derzeit sogenannte Kurzumtriebsfläche, auf denen schnellwachsende Baumarten wie Weide, Pappel oder Erlen gezüchtet werden. Innerhalb von drei Jahren können diese geerntet werden und den wachsenden Bioenergie-Hunger stillen.

"Gerade für Grenzertragsflächen sind solche Pflanzungen ideal", schildert Koch. Im Gegensatz zu geläufigen Energiepflanzen wie Raps oder Zuckerrüben laugen solche Kurzumtriebsflächen den Boden nicht aus. Somit können diese Felder nach der Ernte wieder für die Nahrungs- und Futtermittelproduktion herangezogen werden.

Energie-Touristen

In der Region folgten viele Gemeinden dem Beispiel Güssings und stiegen in die Bioenergie-Erzeugung ein. Mittlerweile hat sich rund um die Bezirksstadt ein Energie-Cluster aus 25 Anlagen, die erneuerbarer Energie erzeugen, gebildet. Nun sollen die einzelnen Aktivitäten in den Gemeinden ein gemeinsames Dach bekommen und unter dem Projekt "Energieautarker Bezirk Güssing" zusammengefasst werden. Bis 2010 soll der gesamte Bezirk energieautark werden.

Das Güssinger Modell gilt in internationalen Fachkreisen als Sensation – und das wiederum kurbelt den Tourismus an. 600 bis 1000 einschlägig Interessierte besuchen pro Woche Güssing. "Wir sind das Mekka der Alternativenergie", sagt Koch.

Die Region vermarktet die Bio-Energie-Erzeugung auch optisch: Überall taucht in Güssing ein grüner Tropfen als äußeres Symbol der sauberen Energiegewinnung auf.

Durch den Bau des Biomasse-Kraftwerks Güssing und der damit verbundenen Gründung des Kompetenznetzwerkes Renet Austria (Renewable Energy Network Austria) konnte auch die nationale und internationale Forschung nach Güssing gebracht werden. Forschungsschwerpunkte sind Wasserstoff, Brennstoffzellen, Methanerzeugung, Treibstofferzeugung und Kühlung über Fernwärme. Hinter den Projekten stehen große europäische Konzerne wie VW, Daimler Chrysler, Volvo, Renault, EdF und BP.

Mit der Erfahrung der letzten 16 Jahre würde Koch heute aber einiges anders machen. Statt teurer Fernwärmeleitungen rät der Güssinger Energieexperte bei der großflächigen Versorgung einer Gemeinde zu Gasleitungen. Nur die bei der Bioenergie-Gewinnung entstehende Abwärme sollte man direkt an Abnehmer in unmittelbarer Nähe der Produktion verkaufen. Sonst seien aber dezentrale Gas-Brennanlagen gegenüber der Fernwärme effizienter und flexibler.

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