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Blaulicht im Winterdienst: In Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen seit Jahren Usus

Gewerkschaft VDStra. fordert nach wie vor bundesweite Umsetzung – Sicherheit der Straßenwärter steht im Fokus

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Von: Michael Loskarn

Blechkarosse reiht sich an Blechkarosse – auf drei Fahrbahnen. Frau Holle schüttelt ihre Federbetten so engagiert, dass kaum das Kennzeichen des Vordermannes zu erkennen ist. Winterchaos: Die A8 bei Stuttgart ist komplett dicht. Plötzlich taucht im Rückspiegel Blaulicht auf, Martinshorn ist zu hören. Endlich tut sich eine Gasse für das Einsatzfahrzeug auf. Von wegen Einsatzfahrzeug, was da kommt ist ein Streufahrzeug der Autobahnmeisterei. Was in Baden-Württemberg seit den 1980igern sowie in Nordrhein-Westfalen seit 2011 möglich ist, soll auch in den anderen 14 Bundesländern umgesetzt werden. Zumindest nach dem Dafürhalten der Vertreter der Fachgewerkschaft der Straßen- und Verkehrsbeschäftigten, VDStra. Ihr Ziel: die Sicherheit der Straßenwärter zu verbessern. Denn längst habe die Inflation in Sachen gelbem Blinklicht dazu geführt, dass Verkehrsteilnehmer kaum noch entsprechend reagieren, Gassen bilden, oder ihre Geschwindigkeit beispielsweise bei Baustellen anpassen. Auch reiche die Absicherung der Straßenbetriebsdienstfahrzeuge mit lediglich gelbem Blinklicht nicht mehr aus. Dies hätten die Erfahrungen der vergangenen schneereichen Winter mit schweren Unfällen inklusive Todesfolge bei Straßenwärtern gezeigt, postuliert die VDStra.

Bedenken: Blaulicht und Martinshorn verlieren Wirkung

„Wir fordern im Minimum bundesweit den Einsatz von Blaulicht und Martinshorn für Fahrzeuge der Autobahnmeistereien“, sagt Hermann-Josef Siebigteroth, VDStra.-Bundesvorsitzender. Und zwar nicht nur im Winterdienst, sondern auch zur Absicherung bei Unfällen, Pannen oder bei kurzfristigen Baustellen. Problem: Die Länderpolizei bzw. die jeweiligen Landesinnenministerien äußern große Bedenken, Blaulicht und Martinshorn würden bei einer Ausweitung auf Straßenbetriebsdienstfahrzeuge ihre Wirkung verlieren – ähnlich wie es beim gelben Blinklicht bereits der Fall ist. Außerdem stelle sich das Bundesinnenministerium auf den Standpunkt, „das ist Ländersache“. „Von der Polizei, den Rettungsdiensten und der Feuerwehr bekommen dann die Länder-Innenministerien die Bedenken zu hören“, so der 55-Jährige weiter. Und schon sei die Sache vom Tisch. Dabei hatte die Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt) bereits 2006 eine 97 Seiten starke Studie zur „Optimierung des Winterdienstes auf hoch belasteten Autobahnen“ „auf den Tisch gelegt“ – erstellt von drei Forschern der Universität Karlsruhe (TH). Unter Punkt 5.4, „Einsatz von blauem Blinklicht und Einsatzhorn auf Winterdienstfahrzeugen“, ziehen die Experten positive Rückschlüsse. Grundsätzlich mache der Einsatz von Blaulicht und Einsatzhorn im Winterdienst an „neuralgischen Streckenabschnitten“ Sinn – beispielsweise bei großen Längsneigungen, hoch belasteten Querschnitten ohne vollausgebauten Standstreifen, Streckenabschnitten mit extrem hohen Verkehrsdichten oder bei „Glättefallen”. Im Fall von sehr hoher Staugefahr bzw. bei bereits entstandenen Verkehrsstauungen und starken bzw. langanhaltenden Schneefällen könnten somit selbstständig und schnell Räumgassen gebildet werden.

Sofortiger Warneffekt gegeben – Akzeptanzabsenkung nicht erwartet

Des Weiteren hätten praktische Erfahrungen bei untersuchten Autobahnmeistereien gezeigt, „dass die Ausstattung eines Winterdienstfahrzeuges mit blauer Kennleuchte und Starktonhorn in Räumabschnitten mit neuralgischen Stellen den gewünschten, sofortigen Warneffekt bei den Verkehrsteilnehmern hat“. Und weiter: Verkehrsteilnehmer bildeten unmittelbar und sehr schnell eine Gasse, sodass das Winterdienstfahrzeug langsam, aber relativ ungehindert den betroffenen Streckenabschnitt betreuen könne. Dieses Verhalten zeige ein Großteil der Verkehrsteilnehmer beim Einsatz mit gelben Rundumleuchten nicht. Voraussetzung für eine dauerhafte Wirkung ohne negative Rückkopplungseffekte für Polizei, Rettungsdienste oder Feuerwehr sei allerdings ein äußerst restriktiver Einsatz im Winterdienst. Bereits vor 13 Jahren sprachen die Forscher von 0 bis 20 Einsätzen pro Autobahnmeisterei im Jahr und schlussfolgerten: „Damit zeigt sich, dass diese Einsätze seltene Ereignisse bei aber gleichzeitig großer Wirkung sind und somit eine Absenkung der allgemeinen Akzeptanz des blauen Blinklichts nicht zu erwarten ist.“


Neues Merkblatt Winterdienst ohne Blaulicht-Regelung

In der derzeit gültigen Fassung des Merkblattes Winterdienst, Fassung 2010, ist wohl deshalb noch folgende Aussage enthalten: „Für den Einsatz auf Autobahnen können je nach länderspezifischen Regelungen Blaulicht und Martinshorn oder ähnliche Einrichtungen sinnvoll sein.“ Wie BASt-Sprecher Christopher Gerhard auf Anfrage mitteilt, entfalle jedoch diese Textpassage in der neuen sich „noch in Bearbeitung befindlichen Fassung“ des Merkblattes. Auch sähen „Praktiker die Wirkung als verhältnismäßig gering an“.

„Die bisherigen Erfahrungen des Landesbetriebes Straßenbau NRW zeigen, dass der Winterdiensteinsatz durch die Verwendung der Sondersignale bei besonderen Witterungsbedingungen zum Teil deutlich beschleunigt werden kann.“
(Malte Schindler, Pressesprecher im Verkehrsministerium Nordrhein-Westfalen)

Differenzierter schätzen dies dagegen die Praktiker des Landesbetriebes Straßenbau NRW ein. Seit 2011 genießen dort 35 Räumfahrzeuge Sonderrechte – inklusive Blaulicht, Martinshorn und Weisungsbefugnis durch den Fahrer gegenüber anderen Verkehrsteilnehmern. Malte Schindler, Pressesprecher im Verkehrsministerium Nordrhein-Westfalen, resümiert: „Die bisherigen Erfahrungen des Landesbetriebes Straßenbau NRW zeigen, dass der Winterdiensteinsatz durch die Verwendung der Sondersignale bei besonderen Witterungsbedingungen zum Teil deutlich beschleunigt werden kann. Die meisten Blaulicht-Einsätze beim Winterdienst in Nordrhein-Westfalen haben bisher auf der A 45 stattgefunden.“ Nie mehr als zehn Einsätze pro Jahr seien es bisher gewesen, weiß Andrea Sommer, die beim Landesbetrieb Straßenbau die Einsätze dokumentiert und ans Landes-Verkehrsministerium meldet. „Im Winter 2016/17 war es lediglich ein Einsatz, im Winter darauf waren es sieben.“ Kollege Gerd Dahmen ergänzt in Sachen Historie: „Aufgrund der extremen Winter haben sich 2011 Vertreter des Landesbetriebes Straßenbau und des Verkehrsministeriums zusammengesetzt, um den Winterdienst zu optimieren.“

Einsätze auch auf autobahnähnlichen Straßen möglich

Elf Punkte seien damals festgeschrieben worden, wobei Punkt sieben die Sonderrechte für Räumfahrzeuge mit Blaulicht und Martinshorn in den Vordergrund rückt. Mit entsprechenden Ausnahmegenehmigungen – erteilt durch die Bezirksregierungen – sind seither in NRW Blaulicht-Räumfahrzeuge unterwegs, und zwar „lediglich in zwei Fällen“, wie Dahmen aufklärt: „Wenn es einerseits bei Verkehrsstillstand um das Freimachen von Fahr- und Räumgassen geht. Oder andererseits gegen die Fahrtrichtung, wenn beispielsweise – ebenfalls bei Verkehrsstillstand – aufgrund querstehender Lkw vom Stauende her kein Durchkommen mehr möglich ist.“ Wichtig: Werde gegen die Fahrtrichtung geräumt, so müsse in jedem Fall am Stauanfang die Polizei vor Ort sein. Auch sei ein klar vorgegebener Informationsprozess vorgeschoben. Will heißen, der Fahrer informiert seine zuständige Straßenmeisterei, diese wiederum holt sowohl bei Polizei als auch bei der Winterdienstzentrale telefonisch die Genehmigung ein. „Wenn beide Stellen den Einsatz nicht untersagen, kann der geschulte Fahrer frei entscheiden.“ Übrigens, in NRW werden die Fahrer jedes Jahr aufs Neue geschult. Ebenfalls spannend: Laut Dahmen sind in seinem Bundesland Einsätze von Räumfahrzeugen mit Blaulicht und Martinshorn sowohl auf Autobahnen als auch auf autobahnähnlichen Bundes- bzw. Landesstraßen möglich. Und, blaues Blinklicht und akustisches Sondersignal dürfen erst am Stauende bzw. -anfang vom Fahrer eingeschaltet werden.

Fortbestehen länderspezifischer Regelungen ungewiss

Seit den 1980iger Jahren ist das Sondersignal in Form eines blauen Blinklichts und des Einsatzhorns (nach §§ 52 Abs. 3 und 55 Abs. 3 StVZO) in Baden-Württemberg „für eine Anzahl schwerer Winterdienstfahrzeuge des zuständigen staatlichen Autobahnbetriebsdienstes oder dessen Beauftragte“ zugelassen. Wie Pressesprecherin Kathleen Bärs aus dem Stuttgarter Verkehrsministerium des Weiteren mitteilt, handelt es sich um einen Dauerversuch des Ministeriums mit Ausnahmegenehmigungen nach § 70 StVZO der zuständigen Regierungspräsidien und sei lediglich für sicherheitskritische oder topografisch schwierige Autobahnstrecken zugelassen. Zudem beschränke sich der Einsatz auf den Winterdienst sowie auf Staustrecken und sei an „diverse Kriterien“ gebunden. Ergänzend lässt Bärs wissen: „Andere Fahrzeuge des baden-württembergischen Autobahn-Betriebsdienstes oder der Straßenmeistereien haben keine Sondersignale – mit Ausnahme von drei Dienstfahrzeugen für Einsätze bei Störungen der Tunnel-Infrastruktur.“ Zusätzliche, äußerst delikate Information aus Stuttgart: 2021 gehe der Autobahndienst an den Bund über, was einen „Fortbestand dieser länderspezifischen Regelungen“ ungewiss mache.

Blaulicht nur im Winterdienst ist „Blödsinn“

Ungewisser Fortbestand der Blaulichtregelung hin oder her: VDStra.-Chef Siebigteroth geht dies alles nicht weit genug. Als „absoluten Blödsinn“ bezeichnet er die Vorgehensweise, Blaulicht und Martinshorn nur im Winterdienst einzusetzen. Seine Forderung reicht weiter: Nötig seien die Signale auf Fahrzeugen, wenn es darum gehe, Unfallstellen aufzuräumen oder eben beim Einsatz von Kehrmaschinen, Berge-Lkw, Kranwagen oder Bagger. Seit knapp zehn Jahren versuchen er und seine Länderkollegen in dieser Sache „etwas zu erreichen“. Allein, ihr Kampf gleicht jenem gegen Windmühlen. Es wird wohl auch in Zukunft äußerst selten vorkommen, als „gemeiner Autofahrer“ im Rückspiegel ein Blaulicht auf einem Räumfahrzeug zu sehen.

Text: Michael Loskarn – Redaktion Bauhof-online.de

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