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Bauhof Schwendi setzt auf künstliche Intelligenz

Mit dem vialytics-System erfassen die Oberschwaben den Zustand der Ortsstraßen

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Von: Michael Loskarn

„Das System ist sehr intelligent“, sagt Schwendis Bauhofleiter, Reinhold Brehm. Das sollte es auch sein, denn immerhin sprechen die Stuttgarter Entwickler von künstlicher Intelligenz. Auf jeden Fall ist es recht einfach zu handhaben: Brehm schnappt sein Smartphone, steckt es in die Halterung an der Windschutzscheibe des Pritschenwagens – ähnlich jener von mobilen Navigationsgeräten –, richtet es über die „Wasserwaage“ des Handys aus, aktiviert die App, und los geht’s. Alle vier gefahrene Meter ist das Klicken der Kamera zu hören. Rund 80 Kilometer Ortsstraßen der 6.700-Seelen-Gemeinde erfasst Brehm mit dem vialytics-System: jedes Schlagloch, jeden Riss, jeden Schaden. Etwa zweieinhalb Arbeitstage benötigt der 50-Jährige, um den Ortskern Schwendi sowie die fünf weiteren Ortsteile Bußmannshausen, Großschafhausen, Orsenhausen, Schönebürg und Sießen im Wald (Hörenhausen und Weihungszell) bei Tempo 30 abzufahren. „Ich muss jede Sackgasse und jede kleine Siedlungsstraße extra anfahren, das ist sehr zeitintensiv“, schildert der Familienvater. Übrigens, das Straßennetz hat der Bauhof-Chef komplett im Kopf.

Nach drei Jahren wird Projekt bewertet

Auch Ortsbaumeister Peter Gauß kennt das Straßennetz der Gemeinde aus dem Effeff. Immerhin galt es im Rahmen der Umstellung auf die Doppik (Anm. d. Red.: Umstellung bei öffentlichen Verwaltungen von der Kameralistik hin zu buchhalterischen Gepflogenheiten der Privatwirtschaft, inkl. Ergebniskontrolle), auch den Zustand der Straßen zu bewerten. Seit etwa sechs Monaten habe Schwendi die künstliche Intelligenz des Stuttgarter Start-up-Unternehmens zur „Erfassung, Bewertung und Darstellung des Straßenzustandes“ im Einsatz, klärt der 53-Jährige auf. „Wir haben das Projekt auf drei Jahre angelegt. Zweimal pro Jahr wird das komplette Straßennetz erfasst.“ Satte 30.000 Euro Anschaffungskosten hat der oberschwäbische Flecken investiert. „Wobei wir einen Zuschuss in Höhe von 50 Prozent vom baden-württembergischen Ministerium für Inneres, Digitalisierung und Migration erhalten.“ Nach diesen drei Jahren will Gauß „einen Strich drunter machen“ und Bilanz ziehen: „Wie arbeiten wir im laufenden Betrieb damit? Welchen Nutzen hat das System für uns? Ist es wirklich eine Arbeitserleichterung?“

Kaum Schulungsaufwand – jeder Mitarbeiter kann System einsetzen

Von Arbeitserleichterung spricht Bauhofleiter Brehm derzeit noch nicht. „Ich hatte schon viel zu tun, jetzt kommt das auch noch dazu“, gibt er sich offen, um stante pede nachzuschieben: „Aber das passt schon.“ Bestimmt könnten die Kontrollfahrten aufgrund der stetig wachsenden Erfahrungen mehr und mehr in den Arbeitsalltag eingebaut werden. Begeistert ist Brehm jedenfalls von der extrem einfachen Handhabung des Systems: „Es ist kein großartiger Schulungsaufwand nötig. Ich kann jeden Mitarbeiter damit fahren lassen. Vorausgesetzt, er kennt sich mit den Straßen aus.“ Und, weil sich Brehm sehr gut mit den Straßen auskennt, schaltete er bei der ersten Fahrt die künstliche Intelligenz immer aus, wenn er auf privaten Straßen bzw. Land- oder Bundesstraßen unterwegs war. „Das macht aber keinen Sinn, weiß ich jetzt, denn bei vialytics wurden Hunderte Dateien angelegt, die von den Experten bereinigt werden mussten.“ Zwischenzeitlich lässt Brehm die App über die komplette Fahrt hinweg an. Welche Straße letztlich wirklich zur Ortschaft Schwendi gehört, legt die Software auf den Servern in Stuttgart fest.


Algorithmen analysieren Bild für Bild

Und so funktioniert das System: Das von vialytics modifizierte Smartphone nimmt mit Blick auf die Straße alle vier Meter ein Bild auf. Dabei kann das Straßennetz entweder gezielt erfasst, oder – wenn die App geöffnet bleibt – die Daten parallel zur operativen Arbeit erhoben werden. Werden Straßen dabei mehrfach erfasst, sortiert das System die Dopplungen automatisch aus. Nach der Befahrung verbindet sich das iPhone mit dem WLAN, und sämtliche Daten werden automatisch in das vialytics-System geladen. Um die Straßenoberfläche adäquat zu analysieren, setzen die Stuttgarter auf Foto-Qualität, einen sensiblen Bewegungssensor, präzise Geo-Lokalisierung und hohe Rechenleistung. Die Bilddaten landen im System – entsprechende Algorithmen analysieren Bild für Bild auf Schäden an der Straßenoberfläche. Erkannte Schäden werden georeferenziert und in das vialytics-Web-GIS übertragen. Durch eine regelmäßige Datenerhebung und die automatische Auswertung kann der Straßenzustand zweimal im Jahr aktualisiert und die Änderung des Zustands erstmals nachverfolgt werden. Personenbezogene Daten werden unkenntlich gemacht, um alle rechtlichen Anforderungen zu erfüllen.

En détail: Bei der Verarbeitung der Bilddaten durch die Algorithmen werden einzelne Schäden gekennzeichnet. Nach der Übertragung der Daten in das vialytics Web-GIS erkennen Brehm und Gauß einzelne Schäden, wie beispielsweise Einzelrisse oder Ausbrüche, und zwar recht detailgenau. Nachdem das vialytics-Phone ausschließlich auf die Straße ausgerichtet ist, werden sämtliche aufgenommenen Bilddaten sofort auf dem Handy verschlüsselt. Sobald die Bilddaten auf die Server übertragen wurden, werden etwaige personenbezogenen Daten durch einen speziell darauf trainierten Algorithmus automatisch und unwiderruflich geschwärzt.

Praktische Ergänzung: Mit der Erweiterung der vialytics-App um das Add-On „Verkehrssicherheit“ lassen sich Straßenkontroll- oder Winterdienstfahrten dokumentieren und gefundene Mängel protokollieren. Die gesamte Strecke der Befahrung wird mit Datum und Uhrzeit versehen, sodass diese Daten bei Bedarf nachgewiesen werden können. Aus den gesetzten Markern können im Nachgang Sanierungsmaßnahmen beauftragt werden.

„Es wird ständig an den entsprechenden Stellschrauben gedreht“, sagt Schwendis Ortsbaumeister, Peter Gauß, über die kontinuierlichen Verbesserungen des vialytics-Systems.

Soweit die blanke Technik: Zwar kennt Peter Gauß die Möglichkeiten des Systems, und es „funktioniere auch alles recht gut“. Dennoch spricht der Bauingenieur davon, dass sich das System „sicher noch im Aufbau“ befinde, dass es laufend aktualisiert und durch die Erfahrungsberichte der Kommunen verbessert werde. „Es wird ständig an den entsprechenden Stellschrauben gedreht.“ Den eigenen Nutzen bei seiner täglichen Arbeit im Rathaus sieht Gauß vor allem darin, die Straßenbewertung oder notwendige Sanierungsmaßnahmen von seinem Büro aus erledigen bzw. in die Wege leiten zu können. „Ich brauch‘ nicht mehr jede Straße abzufahren, sondern kann mir am Bildschirm ein Bild des Straßenzustands machen.“

Nach rund eineinhalb Stunden Fahrt – inklusive Vertreter der schreibenden Zunft – hat Bauhofleiter Brehm dagegen ein Bild des Straßenzustands von Biberacher Straße, Kreuzweg, Tulpen- und Orsenhauser-Straße sowie Grubachweg vor seinem geistigen Auge: aufgrund seiner humanen Intelligenz. Er nimmt das Handy aus der Halterung, schwingt sich behände aus dem Fahrerhaus des Pritschenwagens und eilt in sein Büro. Automatisch loggt sich das Smart-Phone ins WLAN ein und startet die App. Brehm tippt auf Update verwalten – der Upload der Daten beginnt. Kurze Zeit später lässt sich auf dem iPhone bzw. respektive auf dem Rechner die gefahrene Route verfolgen, samt zugeordneter Bilder sowie in fünf Schadensklasse unterteilte Straßenmängel: Das System scheint wirklich sehr intelligent zu sein.

Text/Bilder: Michael Loskarn – Redaktion Bauhof-online.de

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