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ARBEITSSICHERHEIT Keine Angst vor der Gefährdungsbeurteilung

Über kaum ein anderes Thema existieren so viele Mythen wie zur Gefährdungsbeurteilung, die gesetzlich vorgeschrieben ist. Viele Arbeitgeber und Führungskräfte schrecken vor ihr zurück – wohl wegen der Angst vor Fehlern. Dabei ist eine fehlerhafte Gefährdungsbeurteilung unter rechtlichen Gesichtspunkten immer noch besser, als gar keine zu besitzen.

Lesedauer: min | Bildquelle: Markus Tischendorf
Von: Markus Tischendorf

Was ist eine Gefährdungsbeurteilung?

Die Gefährdungsbeurteilung ist eine gesetzliche Forderung, die sich aus vielen staatlichen Gesetzen, Verordnungen und Unfallverhütungsvorschriften ergibt. Es geht um den Schutz der Beschäftigten vor Unfällen und gesundheitlichen Beeinträchtigungen bei der Arbeit. Ziel ist es, betriebliche Gefährdungen frühzeitig zu erkennen und nach entsprechender individueller Bewertung geeignete Schutzmaßnahmen umzusetzen. Bei der Bewertung der möglichen Gefährdungen in einem Unternehmen helfen folgende Betrachtungen weiter:

  • Wie groß ist die Wahrscheinlichkeit, dass es bei der Arbeit zu einem Betriebsunfall oder einer Gesundheitsgefährdung kommt?
  • Mit welcher Verletzungsschwere ist in einem solchen Zusammenhang zu rechnen?

Als Ergebnis lassen sich die zu untersuchenden Tätigkeiten in verschiedene Risikogruppen einstufen. Oft wird ein einfaches Ampelsystem angewandt, wobei die Farben einer Ampel für folgende Gefährdungen stehen:

  • Grün: kein Risiko, betriebliche Arbeitsschutzmaßnahmen sind nicht erforderlich.
  • Orange: mittleres Risiko, Arbeitsschutzmaßnahmen sind mittelfristig angezeigt.
  • Rot: großes Risiko, Schutzmaßnahmen sind zwingend und zeitnah erforderlich.
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In der Praxis stellt sich häufig die Frage, welche Form die Gefährdungsbeurteilung erfüllen muss. Die gute Nachricht lautet: Eine Gefährdungsbeurteilung unterliegt keinen formellen Anforderungen, in ihrer Form ist der Arbeitgeber frei.

Dies wurde seitens des Normengeber bewusst so vorgegeben, um den Betrieben bei der Erstellung der Analyse eine größtmögliche Freiheit einzuräumen. In der Praxis haben sich in den vergangenen Jahren verschiedene Vordrucke, meist in Tabellenform, durchgesetzt. Die einzige normative Vorgabe lautet, dass die Gefährdungsbeurteilung entweder arbeits- oder tätigkeitsbezogen zu erstellen ist. Und zwar nicht für jeden einzelnen Beschäftigten, vielmehr können gleichartige Arbeitsplätze oder Tätigkeiten sinnvoll zusammengefasst werden. Dadurch wird der Bearbeitungsaufwand erheblich reduziert.

Gefährdungsbeurteilung – eine für alles?

Die gesetzliche Verpflichtung zur Erstellung einer Gefährdungsbeurteilung ergibt sich unter anderem aus dem Arbeitsschutzgesetz (ArbSchG), der Betriebssicherheitsverordung (BetrSichV), der Gefahrstoffverordnung (GefStoffV) und einigen anderen Rechtsnormen. Muss deshalb für jedes Rechtsgebiet eine eigenständige Beurteilung erarbeitet werden? Dem Grunde nach, ja. Aber in der Praxis werden verschiedene Belastungsfaktoren in einem Dokument kombiniert, so erhält man schließlich eine Beurteilung von zum Beispiel mechanischen, elektrischen, chemischen und psychischen Faktoren. Sofern keine besonderen Gründe dagegensprechen, sollte möglichst eine einzige Gefährdungsbeurteilung für alle Arbeitsplätze und Tätigkeiten erstellt werden. Auf Baustellen kann im Vorhinein nicht immer jede Arbeit im Detail bewertet werden. Daher haben sich hier projektspezifische Gefährdungsbeurteilungen als hilfreich erwiesen. Sie ersetzen keinesfalls die Gefährdungsbeurteilung des Hauptbetriebes, aber ergänzen sie in sinnvoller Weise.

Wer erstellt die Gefährdungsbeurteilung?

Normenadressat für die Gefährdungsbeurteilung ist der Arbeitgeber. Sollte er selbst nicht fachkundig sein, um die Gefährdungen in seinem Unternehmen beurteilen zu können, ist eine Beratung durch Experten sinnvoll. Vorrangig kann der Arbeitgeber auf die Fachkraft für Arbeitssicherheit und den Betriebsarzt zurückgreifen, die er gemäß dem Arbeitssicherheitsgesetz schriftlich zu bestellen hat. Sofern der Arbeitgeber keine sicherheitstechnische und arbeitsmedizinische Betreuung besitzt, weil er selbst am Unternehmermodell (Anmerkung: gilt nur für Betriebe bis 50 Beschäftigte) seiner Berufsgenossenschaft teilgenommen hat, muss er sich bei Bedarf anderweitig um externe Unterstützung kümmern.

Die Wahrnehmung gesetzlicher Pflichten kann der Arbeitgeber auf geeignete Führungskräfte seines Unternehmens übertragen, dennoch bleibt er stets für den Gesamtprozess der Gefährdungsbeurteilung verantwortlich. Wird eine Arbeitgeberpflicht auf Führungskräfte ganz oder teilweise übertragen, sollte dies schriftlich erfolgen. Zudem obliegt dem Arbeitgeber die Personalauswahl und die Qualifikation der Führungskräfte. Sie sind bei Bedarf angemessen zu schulen, beispielsweise durch die Teilnahme an einem Seminar bei der Berufsgenossenschaft.

Welche Schutzmaßnahmen sind notwendig?

Werden Arbeitsplätze oder Tätigkeiten mit einem Unfall- oder Gesundheitsrisiko für die Beschäftigten erkannt, sind geeignete Schutzmaßnahmen zu veranlassen. Auch hierfür ist ausschließlich der Arbeitgeber verantwortlich. Die Beschäftigten haben die betrieblichen Schutzmaßnahmen zu unterstützen und die geforderte Schutzausrüstung bei der Arbeit zu benutzen. Weil die Gefahrenquelle dadurch aber nicht beseitigt wird, ist dies nicht ausreichend. Schließlich werden nur die schädlichen Auswirkungen auf den Menschen reduziert. Vielmehr fordert der Gesetzgeber, zuerst technische Schutzmaßnahmen zu ergreifen. Ist das nicht möglich oder reichen technische Verbesserungen nicht aus, können sie durch organisatorische Maßnahmen ergänzt werden. Erst wenn technische und organisatorische Maßnahmen umgesetzt wurden, sollte mithilfe von persönlicher Schutzausrüstung das bestehende Restrisiko weiter reduziert werden.


Wirksamkeitskontrolle nicht vernachlässigen

Ob eine Schutzmaßnahme geeignet und tatsächlich wirksam ist, stellt sich bei vielen Anwendungen erst bei der Umsetzung heraus. Gefährdungsbeurteilungen sind häufig unvollständig, weil

  • entweder nicht unmissverständlich festgelegt wurde, welche Maßnahmen von wem und bis wann zu erledigen sind und / oder
  • nach der Realisierung die Wirksamkeit der Maßnahmen nicht festgestellt wurde.

Wie im Projekt-Management üblich, sind beide Aspekte eindeutig zu regeln sowie zu dokumentieren. Stellt sich bei der Wirksamkeitskontrolle heraus, dass die festgelegten Schutzziele nicht erreicht wurden, sind terminierte Folgemaßnahmen zu veranlassen. Dieser Prozess ist so lange fortzusetzen, bis das verbliebene Restrisiko akzeptabel oder vollständig beseitigt ist.

Außerdem sollte die Gefährdungsbeurteilung regelmäßig auf Inhalt und Aktualität kontrolliert werden. Eine gesetzliche Überprüfungsfrist gibt es nicht, die jährliche Kontrolle der Gefährdungsbeurteilung wird aber empfohlen. Ansonsten sollte unstrittig sein, dass die Gefährdungsbeurteilung

  • bei der Anschaffung neuer Maschinen,
  • bei geänderten Arbeitsverfahren und
  • beim Umgang mit bisher unbekannten Gefahrstoffen

zu überarbeiten ist. Einmal erstellt, verbleibt die Gefährdungsbeurteilung übrigens beim Arbeitgeber und den beteiligten Vorgesetzen. Sofern vorhanden, ist der Betriebsrat an dem Prozess der Gefährdungsbeurteilung zu beteiligen. Gelegentlich wird den operativen Beschäftigten die Gefährdungsbeurteilung zur Verfügung gestellt, um sich entsprechend zu verhalten. Dies macht allerdings wenig Sinn, denn eine solche Vorgehensweise ersetzt nicht die Unterweisungspflicht des Arbeitgebers gegenüber den Beschäftigten.

Im Schadensfall gut aufgestellt

Vorrangige Motivation zur Erstellung der Gefährdungsbeurteilung sollte nicht die gesetzliche Verpflichtung, sondern die moralische Verantwortung gegenüber den Beschäftigten sein. Körperliche und geistige Unversehrtheit sind ein bedeutsames Rechtsgut und sogar im Grundgesetzt verankert. Niemand möchte durch die Arbeit krank werden oder hierbei einen Unfall erleiden. Die zuständigen Aufsichtsbehörden – und gegebenenfalls die Kriminalpolizei im Auftrag der Staatsanwaltschaft – klären jedoch, ob eine aktuelle Gefährdungsbeurteilung vorlag, sollte es zu einem schweren Arbeitsunfall gekommen sein. Bei Nichtvorhandensein der geforderten Nachweise stellt sich die Haftungsfrage für den Arbeitgeber plötzlich in einem anderen Licht. Um dies zu vermeiden, sollte sich der Arbeitgeber seiner Verantwortung bewusst sein und den Arbeitsschutz ernst nehmen. Kaum etwas ist schlimmer, als nach einem Unfall keine Gefährdungsbeurteilung vorlegen zu können. Selbst wenn sie nicht perfekt oder unvollständig sein sollte, ist das deutlich besser, als nichts vorweisen zu können. Übrigens unterstützen die Berufsgenossenschaften ihre Mitgliedsbetriebe mit entsprechender Literatur und Handlungshilfen. Es gilt lediglich, diese zumeist kostenlosen Unterlagen anzufordern und sich ernsthaft mit ihnen zu beschäftigen. Dann tragen Bemühungen im Arbeitsschutz auch zum wirtschaftlichen Erfolg bei.

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